8. April 1994 Baseballstar bei Betty Ford
Baseball kann süchtig machen. Leider auch die, die auf dem Platz stehen. Dann kann es sein, dass man das mit dem Schlagen und Rennen auch außerhalb des Spielfeldes praktiziert. Dann hilft nur noch: Entzug. Autor: Martin Trauner
08. April
Mittwoch, 08. April 2015
Autor(in): Martin Trauner
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Frank Halbach
Der Pitcher wirft. - Der Batter blickt kurz hoch. - Dann: ein Schlag. Mit voller Wucht trifft der Holzschläger die kleine, nur knapp 150 Gramm schwere Lederkugel. Der Ball steigt langsam in die Höhe und erreicht seinen Zenit erst weit hinter der Mitte des Stadions. Dann senkt sich seine Flugbahn. Der Baseball wird am anderen Ende des Feldes in den Schutzzaun krachen. Einen "Homerun" wird es geben. Nichts Besonderes im Baseball. Und nichts Besonderes für den Mann am Holzschläger, für Darryl Strawberry, der in seiner Karriere 335 Homeruns geschlagen hat. Doch ein Homerun ist nicht nur einfach ein Ball, der über alle Gegner hinweg segelt. Er ist eine Parabel, eine Metapher oder mindestens eine Allegorie - denn jeder Sport neigt dazu, ein Abbild des Lebens sein zu wollen.
Und je populärer die Sportart, desto zahlreicher die Allegorien, Metaphern und Weisheiten.
Spielen und Mund halten
Nun geben sich die überlieferten Weisheiten aus dem Baseball meist ebenso tiefsinnig wie ein Kompendium der Beckenbauerschen Fußballphilosophie: Der eloquente Trainer coachte einst seine Mannen zu Fußballweltmeistern mit dem Zauberspruch: "Geht's raus und spielt's Fußball." Beim Baseball heißt es dann: "Zwei Dinge muss ein Spieler tun: Spielen und den Mund halten". Für Darryl Strawberry gab es in seinem Leben tatsächlich selten mehr als spielen, spielen und spielen. Mehrmals pro Woche. Bis zu 162 Spiele pro Saison.
Nun kann man Baseball wirklich nicht mit Fußball in einen Topf werfen, obwohl: einiges haben beide Sportarten doch gemeinsam: Ihren Weisheiten-Schatz und ihre für Laien undurchschaubaren Spielregeln. Zwar behaupten Baseballkenner, man hätte großen Spaß an ihrer Sportart, wenn man, ja wenn man das Regelwerk einmal verstanden hätte: All die taktischen Finessen! All die Unwägbarkeiten des Spiels! - "Der Ball ist rund", hätte der Fußballtrainer Sepp Herberger weise geraunt. - Der Ballsport ist halt doch eine Allegorie des menschlichen Daseins.
Schlagen und Rennen
Und nun sind wir wieder bei Darryl Strawberry, dem Mann mit dem harten Schlag. Als 13 jähriger hatte er sich für Baseball entschieden, und seitdem auch nichts anderes mehr gemacht. Flucht und Zuflucht sei der Sport für ihn gewesen, um seinem Vater zu entkommen. Der geht lieber mit seinen Freunden trinken, als sich um die Familie zu kümmern. Im Baseball wird Darryl Strawberry, das Jahrhunderttalent, schnell zu einem Superstar. Es geht immer aufwärts. Schlagen und Rennen. Doch auch privat scheint er gefangen in der Bilderwelt des Baseballs: Schlagen und Rennen. Einmal bricht er bei einem Streit seiner Frau die Nase, ein andermal attackiert ihn seine Freundin mit einem Baseballschläger. Er schlägt zurück. Auf Grund seiner Drogen- und Alkoholeskapaden kommt er immer öfters zu spät zum Training.
Am 8. April 1994 steht Darryl Strawberry vor dem Betty-Ford-Center. Er will sich einer Alkoholtherapie unterziehen. Fünf Tage zuvor war er überhaupt nicht mehr zum Training gegangen, weil er betrunken in seiner Wohnung lag. Wie, wenn er eine endlose Treppe hinuntergefallen wäre, fühle er sich: "Bang, crash, boom". - Der Tiefpunkt? Er zumindest denkt es an diesem Tag. Nach einer 4-wöchigen Therapie spielt er wieder Baseball; doch er nimmt bald wieder Drogen, erkrankt an Darmkrebs. Heute scheint er mit sich und dem Baseball im Reinen zu sein. Aber wie sagt eine alte Baseballweisheit: "Das Spiel ist erst zu Ende, wenn es aus ist."