Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. Dezember 1946 Bayerische Verfassung tritt in Kraft

Kaum ein Jahr nach Kriegsende setzten sich die Väter der Bayerischen Verfassung zusammen. Innerhalb weniger Wochen fanden sie einen gemeinsamen Text. Und schon am 8. Dezember 1946 trat die Verfassung in Kraft. Respekt.

Stand: 08.12.2014 | Archiv

08.12.1946: Bayerische Verfassung tritt in Kraft

08 Dezember

Montag, 08. Dezember 2014

Autor(in): Thomas Grasberger

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Wie buchstabiert man eigentlich das Wort "Neuanfang", wenn das Alphabet der politischen Freiheit und des Anstands fast völlig in Vergessenheit geraten ist? Deutschland im Jahr 1945 war in dieser Hinsicht sprachlos. Das Tausendjährige Reich war Geschichte, Europa lag in Schutt und Asche, Millionen von Menschen waren in den Tod getrieben worden, und am Ende blieb den Deutschen kaum mehr als Scham, Apathie und Hunger.

Was ist Freiheit?

Die Siegermächte hatten den "besiegten Feindstaat" aufgeteilt. Und das einst so stolze Bayern - von den Nazis 12 Jahre lang zur Reichsprovinz degradiert - gehörte nun zur amerikanischen Besatzungszone. Die US-Militärs setzten eine vorläufige bayerische Regierung ein, aber bald schon sollten die Deutschen das Wort "Freiheit" wieder selbst mit Leben füllen können. Ende Januar 1946 fanden erste demokratische Wahlen statt und kurz darauf begann - früher als in anderen Besatzungszonen - die Arbeit an den Länderverfassungen.

Beauftragt wurde in Bayern damit der Münchner Sozialdemokrat und provisorische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner. Der Bahnwärtersohn und studierte Jurist war während der braunen Jahre im Schweizer Exil gewesen und hatte dort den Föderalismus schätzen gelernt. Hoegner berief im März 1946 einen Vorbereitenden Verfassungsausschuss ein und lud honorige Männer dazu - etwa den Staatsrechtsprofessor Hans Nawiasky, die Sozialdemokraten Josef Seifried und Thomas Wimmer oder die CSU-Staatssekretäre Hans Ehard und Anton Pfeiffer.

Hoegner hatte bereits einen kompletten Verfassungsentwurf in der Aktentasche. Der, so betont Hoegner in seinen Erinnerungen, enthielt alle wesentlichen Bestandteile der geltenden bayerischen Verfassung: Die Organisation des Staates und der Gemeinden, die Menschenrechte mit einem Grundrecht auf Naturgenuss, die "Abschnitte über Gemeinschaftsleben, Bildung und Schule, Religion und Wirtschaftsleben".

Auch das "Recht auf Erholung durch ein freies Wochenende und einen bezahlten Jahresurlaub" war schon eingeräumt. Hoegners Entwurf war stark sozialdemokratisch geprägt und sah eine gelenkte Wirtschaft vor. Der Begriff  "Planwirtschaft" wurde später freilich von der amerikanischen Besatzungsmacht gestrichen.

Bayern sagt Ja

Überraschenderweise aber standen damals, kurz nach Kriegsende, die im Ausschuss vertretenen CSU-Politiker solch sozialistischen Gedanken recht positiv gegenüber. Dafür gab es andere Fragen, die zu heftigen Streitigkeiten in der verfassungsgebenden Landesversammlung führten. Mehrheitswahlrecht oder Verhältniswahl? Staatspräsident oder Ministerpräsident? Eine zweite Kammer als Gegengewicht zu Parlament und Parteienherrschaft? Oder die Frage nach der Bekenntnisschule! Hoegner, dessen SPD bei der Wahl zur verfassungsgebenden Landesversammlung schlecht abgeschnitten hatte, war verhandlungsbereit.
Und bald schon fand sich über alle heftigen Streitigkeiten hinweg eine Große Koalition der "Verfassungsmacher".

Am Ende stand ein föderalistischer, christlicher und sozialer Kompromiss, der in einer Volksabstimmung von fast 71 Prozent der Bayern befürwortet wurde. Um dann am 8. Dezember 1946 - zweieinhalb Jahre vor dem Grundgesetz - als Bayerische Verfassung in Kraft zu treten. Bayern hatte offenbar recht schnell gelernt, wie man die Worte "Neuanfang" und "Freiheit" anständig buchstabiert.


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