9. März 1931 Ernst Ruska testet das erste Elektronenmikroskop
Trau schau wem! Die Betonung liegt auf hinschauen, denn nicht alles Scheinbare erscheint augenscheinlich auch offensichtlich. In diesem Sinne: Augen auf, genau geschaut - mit dem Elektronenmikroskop! Autorin: Christiane Neukirch
09. März
Mittwoch, 09. März 2016
Autor(in): Christiane Neukirch
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
"Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! " Dieser Satz soll beweisen, dass etwas existiert. Doch leider hat dieses Beweisverfahren Grenzen: die Augen können trügen - vor allem, wenn die Wahrnehmung flüchtig ist. Ein flüchtiger Bankräuber etwa sorgt dafür, dass ihn die Überwachungskamera nicht lange und ausgiebig abfilmen kann.
Was unser Gehirn aus dem Gesehenen herausdeutet, ähnelt der Wirklichkeit oft nur entfernt. Augenzeugenberichte? Kriminalermittler sehen sie mit Skepsis.
Der Augenschein trügt
Für Beweise greifen sie lieber auf Erscheinungen zurück, die nicht weglaufen; zum Beispiel Spuren, die ein Täter hinterlässt. Schon Sherlock Holmes, der Vater aller modernen Detektive, wusste: oft sind es die Kleinigkeiten, die uns auf die Spur helfen. Ein Haar, eine Fussel vom Anzug, Gummiabrieb von der Schuhsohle. Nicht umsonst hatte er immer eine Lupe zur Hand. Damit löste er Fälle, an denen sich seine Kollegen von Scotland Yard die Zähne ausbissen. Holmes war technisch immer auf dem neuesten Stand. Und so blieb es nicht aus, dass seine Lupe schon bald Konkurrenz bekam.
Lupenreine Konkurrenz
Während Sherlocks Dienstzeit gelangte ein Gerät zur Reife, das bisher ungesehene Details zutage förderte: das Mikroskop. Mit Hilfe von Licht und Linsen vergrößerte es Kleinstobjekte bis zu 200-fach. Sherlock Holmes besaß selbstverständlich sofort das neueste und präziseste Modell. Aber er blieb nicht lange allein: auch die Kriminalpolizei der wirklichen Welt war dem Verbrechen jetzt wieder einen Schritt voraus: Täter wurden nun anhand von Mikrospuren überführt, die sie nur schwer kontrollieren konnten:
Faserteilchen, Lackpartikel oder Pflanzenpollen. Auch einer der winzigsten, aber gefährlichsten Übeltäter konnte nun überführt werden: das Bakterium. Der medizinische Detektiv Robert Koch identifizierte im Mikroskop den Tuberkelbazillus und legte ihm das Handwerk.
So ging es weiter: Die Schlupflöcher für Verbrecher jeder Größe wurden immer enger. Doch wieder gab es eine Grenze: Lichtmikroskope können maximal 2000-fach vergrößern.
1926 arbeitet der junge Berliner Ingenieur Ernst Ruska daran, Elektronenstrahlen punktförmig auf einen Hintergrund zu bündeln. Elektronenstrahlen sind Wellen - so wie das Licht auch; aber viel kürzer. Ruska überlegt: Diese Eigenschaft könnte man optisch nutzen. Man könnte einen Gegenstand extrem vergrößert darstellen, wenn man ihn statt mit Licht mit Elektronen abtastet. Dank der kürzeren Amplitude der Wellen ließen sich die Objekte nicht 2000- sondern 200.000-fach vergrößern. Zusammen mit seinem Forschungsgruppenleiter Max Knoll entwickelt Ruska das sogenannte "Übermikroskop". Am 9. März 1931 ist es soweit: Ernst Ruska testet das erste Elektronenmikroskop der Welt.
Eine schlechte Nachricht für Verbrecher: Dank des Elektronenmikroskops und seiner Weiterentwicklungen genügt heute ein Stück DNA am Tatort, um der Polizei die nötige Information zu liefern. Unter den Krankheitserregern sind nun auch die nanometerkleinen Viren nicht mehr sicher vor dem menschlichen Blick. Ein Triumph für die Wissenschaftswelt, die Ruska für seine Erfindung den Nobelpreis verlieh. Nur Sherlock Holmes triumphierte diesmal nicht. Die Segnungen des Elektronenmikroskops nützten ihm nichts mehr: Er löste seinen letzten Fall im Jahr 1927.