14. November 1943 Leonard Bernstein springt ein und startet Weltkarriere
Manchmal braucht man im Leben einfach nur eines, nämlich eine Chance. Wenn man diese – einzige – Chance dann kriegt, sollte man allerdings schon auch bereit dafür sein… wie der junge Leonard Bernstein. Autor: Johannes Roßteuscher
14. November
Dienstag, 14. November 2017
Autor(in): Johannes Roßteuscher
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Es ist die ewige Geschichte des Lehrlings, der für den großen Meister einspringt. Des Flugschülers, der einen Airbus sicher landen soll. Oder des unbekannten Dirigenten, der für den erkrankten Maestro die Premiere dirigiert. "Ich kann diese Geschichte kaum noch hören: Er sprang für den erkrankten Bruno Walter ein …", sagte Leonard Bernstein später selbst über die ganze Angelegenheit.
Wenn der Lehrling für den Meister
Am Sonntag, den 14. November 1943 dirigierte Leonard Bernstein, 25 Jahre alt, das weltberühmte New York Philharmonic Orchestra. In der weltberühmten Carnegie Hall. Das Konzert wurde landesweit im Rundfunk übertragen. Am nächsten Tag berichtete die New York Times darüber auf ihrer Titelseite.
Es war ja schon eine Sensation gewesen, dass Bernstein mit 25 Jahren Dirigier-Assistent bei diesem Orchester geworden war. Niemand in Leonard Bernsteins jüdisch-ukrainischer Familie war Musiker oder irgendwas vergleichbares gewesen. Leonard bekam als Zehnjähriger zufällig ein Klavier geschenkt, brachte sich selbst Harmonielehre bei, setzte gegen seine Eltern Klavierunterricht durch, wurde schnell sehr gut und studierte schließlich Musikwissenschaften und Musik. Die Dirigierklasse verließ er mit Bestnoten.
Auf in den Big Apple
Mit 23 zog er nach New York, dirigierte, komponierte und feierte ein bisschen herum – aber die Großen der US-Musikszene hatten das gutaussehende Ausnahmetalent mit den großen Ohren längst unter Beobachtung. An Bernsteins 25. Geburtstag fragte ihn Artur Rodzinski, Chef der New Yorker Philharmoniker, ob er dessen Assistent werden wollte. Gott habe ihm die Empfehlung gegeben. Bernstein fand an dieser Empfehlung nichts auszusetzen und sagte ja.
Und nur zweieinhalb Monate später war es dann schon so weit: Die Dirigentenlegende Bruno Walter sollte die New Yorker dirigieren – und wurde krank. Chefdirigent Rodzinski weilte auf seiner Farm, eingeschneit. Und auch das noch: Bernstein hatte nach einem eigenen Konzert bis vier Uhr früh gefeiert – obwohl er schon gewusst hatte, dass Walter fiebrig war. Es half nichts: Am Vormittag rief der Orchestermanagermanager an: Bruno Walter krank, für eine Probe keine Zeit mehr, Walter will am Krankenbett die Partitur noch einmal mit Dir durchgehen. Bernstein fuhr ans Krankenbett und dann in die Carnegiehall – und war entgegen seines Naturells doch ein wenig aufgeregt. Keines der Stücke außer der geplanten Zugabe hatte er je dirigiert.
Aber alles ging gut. Bei jedem Stück wurde der Applaus – des tatsächlich anfangs skeptischen – Publikums stärker und steigerte sich schließlich zu Ovationen. Leonards elfjähriger Bruder Burton schrieb später, das Publikum habe am Ende gebrüllt wie ein einziges großes Tier. Und der große Bruder: Verbeugte sich artig, ließ, wie sein Bruder schrieb, sein tolles Lächeln aufblitzen – und schaute bei jedem Mal noch hohläugiger aus.
Danach habe er vier Whiskys gekippt und sich großartig gefühlt, sagte Bernstein später. Und wohl auch kapiert, was da passiert war. Oder wie es ein Violinist des Orchesters ausdrückte. Es war wie im Film: "A star was born."