15. April 1945 Ein Papiermüller rettet die Kartei der NSDAP
Ordnung ist das halbe Leben. Eine deutsche Tugend. Dachten auch die Nazis und führten eine akkurate Kartei über ihre Parteimitglieder. Als die Amerikaner kamen musste die schnell weg. Aber der Papiermüller Hanns Huber machte den Nazis bei der Vernichtung des Beweismaterials einen Strich durch die Rechnung. Autor: Ulrich Trebbin
15. April
Mittwoch, 15. April 2015
Autor(in): Ulrich Trebbin
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Frank Halbach
Wir wollen im heutigen Kalenderblatt das Lob einer deutschen Tugend singen! Deutsche Ordnung, Gründlichkeit und Wertarbeit! Das ist doch was, oder? Schließlich werden wir im Ausland immer wieder gleich auf unsere Edellimousinen, die langlebigen Elektrogeräte oder den ach so korrekten deutschen Beamten angesprochen. Da sollten wir ruhig mal ein bisschen stolz sein. Und unsere Waschmittel waschen ja bekanntlich auch weißer als weiß.
Da weiß man, was man hat. Guten Abend.
Ordnung ist das halbe Leben
Es kann aber auch ins Auge gehen mit der Gründlichkeit. Äh, tja, - nun sind wir beim Plaudern ausgerechnet ins unrühmlichste Kapitel unserer deutschen Geschichte gestolpert. Also die Nazis - die haben doch tatsächlich sorgfältigst über jedes ihrer Parteimitglieder Buch geführt, für jeden eine eigene Karte:
Mit Foto, dem Tag des Parteieintritts und was sonst noch so wichtig war an persönlichen Daten. Stand da alles fein säuberlich drauf! Es waren - sage und schreibe - 14 Millionen Karten und die lagerten im damaligen Verwaltungsbau der NSDAP am Münchner Königsplatz. Ein ganzer Trakt stand da voll, mit eben diesen Mitgliedskarten angefüllt - akkurat sortiert nach dem Alphabet versteht sich. Ordnung ist das halbe Leben. Soweit so gut.
Als aber die Amerikaner im April '45 immer näher kamen, da begannen sich die Münchner Partei-Beamten zu fragen: Was tun mit der gar so gründlich angelegten Kartothek? Ist ja schließlich reichlich belastendes Material! - Verbrennen, logisch! - Aber dafür müsste man sie ja - alle 14 Millionen! - einzeln ins Feuer schnippen! Denn im Stapel sengen ja höchstens die Ecken ein bisschen an.
Da fiel einem die Papier-, Pappen- und Wellpappenfabrik Josef Wirth draußen in Freimann ein. Einstampfen, so lautete sein Geistesblitz! Also karrte man am
15. April die heiße Ware in nicht weniger als zwanzig Lastzügen vor die Tore der Stadt - ganze 65 Tonnen sollen es gewesen sein.
Ein Patriot ganz eigner Prägung
Um die schöne Ordnung der Kartei machte sich jetzt allerdings keiner mehr Gedanken. Hastig schüttete man sie körbeweise auf die Lastwagen. Der eine oder andere mag das Kärtchen, auf dem der eigene Name drauf stand, noch schnell herausgefischt haben - sicher ist sicher - dann aber nichts wie weg damit. Der Papiermüller Hanns Huber erhielt nun den allerstrengsten Befehl, die Dokumente sofort zu Brei zu verkneten. Doch das Pech der Nazis war, dass Hanns Huber mit ihnen nicht auf all zu gutem Fuße stand. Weder er noch seine Angestellten waren Parteimitglieder. Also häuften sie eilig andere Papierabfälle auf die Kartenberge und taten so, als wäre es das Papier all der anderen Kunden, die nicht so "bevorzugt" bedient wurden. Hanns Huber war eben nicht nur ein vorausschauender Mann, sondern auch ein Patriot ganz eigener Prägung.
Die Amis brauchten allerdings eine ganze Weile, bis sie den Wert des papierenen Beutestücks erkannten. Hanns Huber soll mehrfach bei ihnen vorstellig geworden sein. Zugegeben, zunächst mag es daran gelegen haben, dass Huber des Englischen kaum oder eigentlich gar nicht mächtig war. Aber auch dann noch, als längst ein Dolmetscher gefunden war, dauerte es Monate, bis dem Major Browne - in seiner Heimat Oregon war er immerhin Chef der Kriminalpolizei gewesen - ein spärlich funzelndes Lichtlein aufging: Dass hier nämlich Beweismittel allererster Güte vorlagen, die die Arbeit der Entnazifizierer erheblich erleichtern würden. Endlich - es war mittlerweile Anfang Oktober geworden - entschloss man sich dazu, Wachen vor Hanns Hubers Papiermühle zu postieren und Feuerschutzmaßnahmen durchzuführen.
Bis all die Kärtchen allerdings wieder hübsch in die richtige Reihenfolge sortiert waren, das dauerte natürlich Wochen und Monate.
Tja - Ordnung ist das halbe Leben.