19. November 1923 Hyperinflation in Deutschland
Den Ersten Weltkrieg finanzieren die Deutschen auf Pump. Danach bleiben unermessliche Schulden, die sich bald zur Hyperinflation auftürmen. Die Rentenmark wird eingeführt - ein Neubeginn im Finanzdesaster? Autor: Thomas Grasberger
19. November
Donnerstag, 19. November 2015
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Zu den großen Mysterien gehört die Frage "Was ist eigentlich Geld?" Warum ist jemand damit einverstanden, einen duftenden Laib Brot gegen einen schnöden Papierzettel zu tauschen. Der Gegenwert des Geldscheins allein kann es nicht sein. Geld ist also mehr als nur Zettelwirtschaft; Geld ist eine gesellschaftliche Übereinkunft. Wer sein duftendes Brot gegen Papier tauscht, glaubt daran, dass er für dieses Papier künftig wieder etwas bekommt, das für ihn von Wert ist. Geld hat immer etwas mit Vertrauen zu tun. Also mit Emotionen.
Hurra auf Pump
Im Ersten Weltkrieg zum Beispiel, da waren die Emotionen ganz auf Hurra-Patriotismus ausgerichtet. Und die vielen, vielen Waffen, die viele, viele Tote produzierten, wurden auf Pump hergestellt. Im festen Glauben an den Sieg. Schatzanweisungen und Kriegsanleihen hießen in Deutschland die Zettel, die am Ende keinen Gegenwert hatten, denn es gab bald nichts mehr zu kaufen, nicht einmal Brot, geschweige denn duftendes. Als der Krieg dann verloren ging und Deutschland immense Reparationszahlungen zu leisten hatte, verschärfte sich das Problem der Geldentwertung. Die Mark verlor gegenüber dem US-Dollar ständig an Wert. Im Januar 1920 hatte sie nur noch ein Zehntel ihres Umtauschwerts vom August 1914, im Oktober 1921 noch ein Hundertstel, ein Jahr später ein Tausendstel. Die Reparationen freilich mussten in harter Währung geleistet werden, in Goldmark, Devisen und Sachgütern.
Als die Reichsregierung 1923 nicht mehr in der Lage war, die Reparationen zu bezahlen, besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief zum "Ruhrkampf" auf. Dieser passive Widerstand musste allerdings auch bezahlt werden. Die Streikenden brauchten ja Geld. Also warf die Regierung wieder die Druckerpressen an. Und die Mark wurde immer schneller immer weniger Wert. Im November 1923 musste man für einen US-Dollar bereits 4,2 Billionen Mark bezahlen.
Desaster mit Gewinnern
Hyperinflation hieß das Gespenst, das fortan mehrere Generation von Deutschen in Angst und Schrecken versetzen sollte. Nicht nur, weil das Einkaufen angesichts der vielen Scheine etwas unbequem wurde, nein, vor allem weil die deutsche Wirtschaft kollabierte. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Reallöhne fielen ins Bodenlose und die radikalen politischen Kräfte bekamen Zulauf. Die Nationalsozialisten bedruckten die wertlosen Geldscheine mit antijüdischen Karikaturen, um so zu zeigen, wen sie für die wirtschaftliche Katastrophe verantwortlich machten.
Am 19. November 1923 wurde die Papiermark abgelöst durch die Rentenmark. Die Inflation war beendet, aber die Kosten der Geldentwertung blieben. Zu den Gewinnern gehörten die Schuldner - die privaten und vor allem die öffentlichen, also der hoch verschuldete Staat. Die Zeche zahlten die abhängig Beschäftigten. Und all jene, die nur Geldvermögen hatten. Auf diese Weise verlor nicht nur ein großer Teil der Mittelschicht seine finanziellen Rücklagen, auch die Sparguthaben von Arbeitnehmern und Kleingewerbetreibenden gingen verloren. Und mit ihnen das Vertrauen - nicht nur in das Geld, sondern in die Politik. Und das war bekanntlich die schwerste Hypothek für die junge Demokratie der Weimarer Republik.