Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Dezember 1812 Erster Band der Grimmschen Märchen erscheint

Die Kindheit der Brüder Jakob und Wilhelm war voller Eindrücke, die sich später in ihren Erzählungen wiederfinden sollten. Am 20. Dezember 1812 erschien die erste Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm.

Stand: 20.12.2010 | Archiv

20. Dezember 1812: Erster Band der Grimmschen Märchen erscheint

20 Dezember

Montag, 20. Dezember 2010

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem stillen Hüttchen (...)  sie hatte zwei Kinder, (...) das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenrot. (...) Die beiden Kinder hatten einander so lieb, dass sie sich immer an den Händen fassten (...) und wenn Schneeweißchen sagte: "Wir wollen uns nicht verlassen" so antwortete Rosenrot: "Solange wir leben nicht" ...

Jakob war seinem Bruder immer drei Schritte voraus. Wenn ihre Tante die beiden im Lesen unterwies, mit ihrem Fächer auf die Buchstaben deutend, als wollte sie diese erstechen, dann spürte Wilhelm, dass sie den flinken großen Bruder, mehr liebte als ihn. Im Alter sollte sich dieses Verhältnis zwischen den Brüdern Grimm fortsetzen. Jakob voraus, Wilhelm drei Schritte hinterher. Wie Wilhelms Sohn Herman über seinen Vater schrieb: Er ging langsam, Jakob rasch. Zusammen sind sie nie gegangen. Und doch gingen sie Seite an Seite - ein ganzes Leben lang.

Die Liebe zur Sprache war das Band, welches die beiden Brüder zusammenhielt und das auch die Tante mit ihrem spitzen Elfenbeinfächer nicht durchtrennen konnte. Die Liebe für Geschichten, die auch ihre Mutter Dorothea besaß.

Die Mutter: Sie sitzt in der Stube, in einen der Briefromane vertieft, welche gerade in Mode sind. Zwischendurch blickt sie auf. Späht durch den Spiegel an der Wand heimlich auf das Leben in der Gasse, vergewissert sich, dass sie trotz neun Kindern immer noch schön zu nennen ist.

Kindheitserinnerungen, welche die Brüder Grimm später notierten. Der Vater, wie er  allmorgendlich unter einer Wolke Perückenpuders verschwand, um als respektabler Amtmann wieder aus ihr hervor zu tauchen, süße Fastnachtsbrezeln, der weiche Schoss der Mutter, das Knacken, wenn ihre Finger wieder eine Laus im verstrubbelten Kinderhaar erwischten.

Doch auch diese heile Welt barg dunkle Seiten. Hinter dem Spieglein an der Wand, mit welchem die Mutter liebäugelte, hing der Rohrstock und bald kam eine Zeit, da die Kinder ihr Ohr an den Boden legten, um von Ferne das Donnern der Kanonen zu hören. Hessen, die Heimat der Grimms, führte Krieg gegen das revolutionäre Frankreich.

Der Vater starb. Die Mutter war jetzt eine arme Witwe. Jakob und Wilhelm, erst elf und zehn Jahre alt, mussten sie stützen. Die beiden Brüder fassten sich an den Händen und sollten sich, solange sie lebten, nicht wieder loslassen. Denn lieber Wilhelm wir wollen uns einmal nie trennen, wie Jakob seinem Bruder schrieb.

Am 20. Dezember 1812 erschien die erste Ausgabe ihrer gesammelten Kinder- und Hausmärchen. Das berühmteste, doch bei weitem nicht das einzige Projekt der Brüder Grimm. Jakob und Wilhelm fanden ihre Märchen in verstaubten Bibliotheksregalen - und bekamen sie von jungen, geistreichen Frauen erzählt. Einige waren Töchter von befreundeten Familien. Viele der Märchenerzählerinnen waren französischer Abstammung und verfügten über einen großen Schatz französischer Kunstmärchen. Eine von ihnen, Dorothea Wild, heiratete Wilhelm. Doch keine Frau sollte je einen Keil zwischen die Brüder treiben.

Der bedächtige Wilhelm war es, der mit großer Phantasie die Märchen ausschmückte und darin oft der Geschwisterliebe ein Denkmal setzte. Es war wohl auch die Sehnsucht nach der eigenen so schnell zu Ende gegangenen Kindheit, welche die Brüder Grimm bei ihrem Märchensammeln antrieb. Wilhelm erinnerte sich, wie er nach dem Tod des Vaters Abschied vom Elternhaus nahm: ich (...) sah in der Ferne unseren Bienengarten (...) und ein großer Nebel lag darauf. Ich dachte an alle die Zeit, die ich darin zugebracht. Sie war mir aber ganz fern und als liege ein großer Graben dazwischen, und ich sei ganz abgeschnitten ...


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