Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Dezember 1998 Alan Lloyd Hodgkin gestorben, Physiologe

Der wichtigste Helfer des Nervenforschers Alan Lloyd Hodgkins war ein Tintenfisch. Mit seinen dicken Nerven konnte er die Theorien beweisen, an denen Hodgkin arbeitete. Am 20. Dezember 1998 starb der Experimentalbiologe.

Stand: 20.12.2013 | Archiv

20.12.1998: Alan Lloyd Hodgkin gestorben, Physiologe

20 Dezember

Freitag, 20. Dezember 2013

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Alan Lloyd Hodgkin brauchte starke Nerven. Nicht nur seine eigenen: sein Nervenkostüm wäre zu dünn gewesen für das, was er vorhatte. Er, der Physiologe, brauchte Nerven, die man ohne Reue bis zum Äußersten reizen konnte; und Nerven, die dick genug waren, um Elektroden hineinzustechen.

"Alles-oder-Nichts"-Prinzip

Hodgkin, Jahrgang 1914, hatte Großes vor. Er war aufgewachsen in einer wissenschaftlich geprägten Umgebung. Ein Freund seines Vaters war Professor am berühmten Trinity College in Cambridge gewesen. Zwar starb dieser, als Hodgkin drei Jahre alt war; aber er hinterließ eine Erkenntnis, die Hodgkin faszinierte: Dass nämlich jeder Nervenreiz nach dem "Alles-oder-Nichts"-Prinzip funktioniert. Das heißt: die Stärke eines elektrischen Impulses, der entlang einer Nervenfaser weitergeleitet wird, ist immer gleich groß. Und zwar ganz egal wie stark der ursprüngliche Reiz war, der von außen kam.

Nerven kommunizieren durch winzige elektrische Stromstöße. Jeder davon dauert nur eine Tausendstelsekunde; aber mithilfe dieser Impulse morsen die Nerven ihre Informationen von der Sinneszelle ans Gehirn oder vom Gehirn an die Muskeln. Wie und warum das genau funktioniert - darüber gab es, als Hodgkin sein Studium begann, manche Erkenntnis, manche Vermutung - und manche Wissenslücke. Hodgkin lernte alles, was es über Nerven zu wissen gab: vom Ruhe- und Aktionspotenzial, vom Alles-oder-Nichts-Prinzip, vom Austausch elektrisch geladener Moleküle - Ionen, die durch Membranen wandern können. Doch vieles davon war bloße Theorie. Hodgkin wollte Beweise.

Er wollte die Vermutungen mit Experimenten belegen. Dafür musste er erst einmal geeignete Apparate erfinden und bauen. Und er brauchte dafür Nerven, die er daran anschließen, reizen und vermessen konnte. Doch unter den nervenbesitzenden Lebewesen dieser Welt schien keines die nötige Nervenstärke zu besitzen. Die Spitzen seiner Elektroden, bestehend aus salzlösungsgefüllten Glasröhrchen, waren zwar mehr als haarfein, aber noch weit von heutiger Nanotechnologie entfernt.

Dicke Nervenfasern

1937 ging dem leidenschaftlichen Angler ausgerechnet im Universitätslabor von New York der Fisch ins Netz, der sein engster Verbündeter werden sollte:
der "Atlantic squid", ein zehnarmiger Tintenfisch. Dessen Nervenfasern waren einen satten halben Millimeter dick. Das genügte. Ein weiterer wichtiger Verbündeter war sein Schüler Andrew Huxley, anders als der Tintenfisch ein freiwilliger Helfer. Es war ein langer Weg zum Ziel. Der Krieg kam ihnen dazwischen, die Erfindung der Apparatur kostete Zeit, die Nerven ließen sich ihre Geheimnisse nicht über Nacht entlocken. Doch die jahrzehntelangen Mühen lohnten sich: 1952 gelang es den beiden Forschern nicht nur, die Theorien zu beweisen, sondern sie auch in allgemein gültige Formeln zu fassen. 1963 erhielten beide dafür den Nobelpreis. Die Zeitung "The Independent" nannte Alan Lloyd Hodgkin fast 50 Jahre später einen der führenden Experimentalbiologen des 20. Jahrhunderts.

Leider ließen ihn seine eigenen Nerven am Ende seines Lebens im Stich: Seine Bandscheiben drückten auf sein Rückenmark; bald konnte er nicht mehr ohne Hilfe gehen; die Behinderungen zwangen ihn in die Knie. Am 20. Dezember 1998 starb er, 84 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Cambridge.


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