Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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21. Juli 1869 Missionar auf den Fidschis verspeist

Was ist wirklich passiert am 21. Juli 1869 auf den Fidschi-Inseln? Sicher ist, dass der Missionar Thomas Baker an diesem Tag ums Leben gekommen ist. Bis heute behaupten die Insulaner, er wurde verspeist - eine Herausforderung für Kulturforscher und Touristik-Experten.

Stand: 21.07.2011 | Archiv

21.07.1869: Missionar Thomas Baker auf den Fidschis verspeist

21 Juli

Donnerstag, 21. Juli 2011

Das Kalenderblatt erinnert an Thomas Baker

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Der 21. Juli 1869 würde kein guter Tag werden, das hatte Reverend Thomas Baker irgendwie im Gefühl. "Jungs, heute werden wir getötet werden", soll der methodistische Missionar zu seinen einheimischen Begleitern gesagt haben, als sie das Dorf Nabutautau auf den südpazifischen Fidschi-Inseln verlassen wollten. Wenig später wurden er und die meisten seiner Gefolgsleute von Dorfbewohnern mit Streitäxten erschlagen und anschließend gekocht und gegessen. Was von Thomas Baker übrig blieb, ist heute im Museum von Suva, der Hauptstadt der Fidschis, zu bewundern: zwei reichlich zerkocht wirkende Schuhsohlen, eine Bibel, daneben eine landestypische vierzackige Kannibalengabel. Gabeln wie diese kann man auf den Fidschis immer noch käuflich erwerben, als Souvenir. Die Tourismusexperten des Südseeparadieses wissen die schaurige Aura der Menschenfresser vergangener Zeiten zu schätzen.

Der Kamm des Missionars war schuld

Dabei ist das Phänomen des Kannibalismus in der Forschung sehr umstritten. Sichere Quellen fehlen, denn die Völker der Südsee führten keine Bücher, die weißen Eroberer sprachen ihre Sprache nicht und trugen eigene Vorurteile an die sogenannten Wilden heran. Warum Baker sterben musste, weiß heute keiner mehr genau. Angeblich hatte der Häuptling von Nabutautau an einem Kamm des Missionars Gefallen gefunden, ihn freimütig entwendet und sich ins Haar gesteckt. Baker wollte das nicht dulden und versuchte ihn wieder herauszuziehen. Dabei berührte er das Haupt des Häuptlings: ein unverzeihlicher Tabubruch, denn ein Häuptlingskopf gilt als Quelle unermesslicher Energie.

Andere sagen, der Missionar sei einfach ein Opfer von Stammesrivalitäten und Christentumsgegnern geworden. Und es gibt auch Forscher, die das gesamte Phänomen des Kannibalismus ins Reich der Fabeln verweisen: Da hätten die weißen Eroberer symbolische Handlungen in denunziatorischer Absicht gründlich missverstanden. Schließlich lassen auch wir uns den Leib Christi bei der Eucharistie auf der Zunge zergehen, ohne unsere Mitmenschen auf die Schlachtbank zu zerren. Die Mehrzahl der Forscher aber behauptet, dass es kannibalistische Praktiken gegeben hat. Nicht nur in der Südsee, in allen Teilen der Welt. Sie gehen davon aus, dass Baker wirklich verspeist wurde.

Ein Fluch über den Einwohnern

Und auch die Einwohner des Dorfes Nabutautau bezweifeln das nicht. Es tut ihnen sogar gründlich leid. Ein Fluch laste auf ihnen, der schuld an der Armut und Rückständigkeit ihres Dorfes sei, befürchten sie. Im Herbst des Jahres 2003 luden sie elf Nachfahren des Missionars aus Australien ein und gestalteten vor ihren Augen eine traditionelle Zeremonie, um sich zu entschuldigen und den Fluch zu brechen. Premierminister Laisenia Quarase ließ sich einfliegen, Dorfbewohner hielten traditionelle Streitäxte in die Kameras, und die Weltpresse berichtete ausführlich.

Inzwischen soll es dem Dorf Nabutautau tatsächlich besser gehen. Ob das daran liegt, dass sich der Geist Thomas Bakers endlich zur Ruhe gelegt hat? Oder eher daran, dass auch Fidschianer was von PR verstehen? Rituelle Formen der Vergangenheitsbewältigung, die auf ebenso schauerliche wie stark verinnerlichte kollektive Vorstellungen Bezug nehmen, erregen Aufmerksamkeit. Und die kam dem Dorf zugute, die kam auch der lebenswichtigen Tourismusbranche des krisengeschüttelten Landes zugute. Die Nachfahren Bakers jedenfalls haben die Zeremonie mit Begeisterung verfolgt. Nicht, weil sie an einen Fluch glaubten. Sondern weil sie sich freuten, den armen Bewohnern Nabutautaus irgendwie helfen zu können.


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