21. Oktober 1907 "Unterkiefer von Mauer" gefunden
Ein Jahrhundertfund! Am 21. Oktober 1907 wurde in Mauer nahe Heidelberg ein menschlicher Unterkiefer ausgegraben: "Heit hab isch de Adam g’funne", meinte der Arbeiter, der ihn fand. Autor: Florian Hildebrand
21. Oktober
Mittwoch, 21. Oktober 2015
Autor(in): Florian Hildebrand
Sprecher(in): Florian Hildebrand
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Heit hab isch de Adam g’funne.“ Derartige badische Hellsicht traut man einem einfachen Sandgräber nicht zu, wenn er beim Schaufeln plötzlich einen alten Unterkiefer aus dem Boden holt. Und treffsicher darin ein Relikt eines Frühmenschen erkennt. So ganz tumb ist dieser Arbeiter Daniel Hartmann auch nicht. In den Sand- und Kiesgruben bei der Ortschaft Mauer nahe Heidelberg werden seit Jahrzehnten Knochen und Zähne vorzeitlicher Tiere ausgegraben. Warum also nicht auch Fossilien von Menschen, eines Adam ebbe. Der Gebissknochen, der Hartmann am 21. Oktober 1907 auf die Schaufel gerät, scheint eigentlich nur folgerichtig.
"Fossilienrausch"
1907. Daniel Hartmann hat vielleicht auch mitbekommen, dass ein halbes Jahrhundert zuvor die ersten Knochen von Neandertalern ans Tageslicht gekommen waren. Anschließend war unter Naturforschern und anderen ein regelrechter Gold-, genauer gesagt Fossilienrausch losgebrochen, die ältesten menschlichen Gebeine auszugraben, vor allem in Europa.
Sandgräber Hartmann ist zudem eigens instruiert worden. Ein Professor namens Otto Schötensack aus Heidelberg hatte über ein Jahrzehnt lang die Tagelöhner in der Sandgrube angespitzt, sofort zu ihm zu kommen, wenn sie menschliche Knochen fänden. Schötensack glaubt nämlich auch, zwischen dieser ganzen Tierwelt aus urvordenklichen Zeiten haben sich auch menschliche Jäger herumgetrieben. Schötensack prognostiziert denn auch 15 Jahre lang unbeirrt einen Fund wie diesen Unterkiefer, um den dann später der homo heidelbergensis herum konstruiert oder rekonstruiert wird.
Die Nachricht von dem uralten Kieferknochen, dem nur zwei Backenzähne fehlen, rast über Nacht um die Welt. Ein Jahrhundertfund, denn 1907 ist das Mahlwerkzeug das betagteste bislang entdeckte menschliche Fossil überhaupt.
Schötensack schätzt das Alter auf eine halbe Million Jahre, und das ist wesentlich früher als der Neandertaler gelebt hat. Geologische Untersuchungen zum Fundort bringen ihn zu dieser treffenden Einschätzung. Ein kühner Wurf, denn selbst heute, da die Analysemethoden wesentlich raffinierter sind, gelingt es nicht, ein halbwegs präzises Alter für den Homo heidelbergensis festzulegen. Die geschätzten Zeitspannen bewegen sich zwischen 630.000 bis 460.000 Jahre vor unserer Zeit.
Der erste Mensch ein "Kraut"? - Never!
In der Zwischenzeit sind entschieden ältere Exemplare der Gattung homo entdeckt worden, in Europa, in Asien und vor allem in Afrika. Aber damals, 1907 galt der Fund in seinem Zeithorizont als unschlagbar fern - und dieser Adam homo heidelbergensis hatte wohl gemerkt da gelebt, wo sich viel später Germanien, Deutschland eingerichtet hat. Das war für imperialistisch Bewegte im Kaiserreich zutiefst befriedigend: Der erste Mensch - ein Deutscher. Beruhigend vor allem mit Blick auf die Briten, die den Krauts den alten Kiefer nicht gönnten. Wie freuten sich deshalb die insulären Empire-listen, als fünf Jahre später, 1912 in einem englischen Steinbruch ein Schädel ans Tageslicht kam, der halb Mensch, halb Affe zu sein schien.
Nun sah es ganz danach aus, dass der Affe auf der Insel zum Menschen herangereift war: der älteste homo - ein Engländer. Dieser so genannte Piltdown-Schädel galt jahrzehntelang als anthropologischer Kronzeuge für die Überlegenheit der britischen Rasse. Dass das Fossil freilich frech gefälscht war, ließ sich leider nicht beliebig lange verheimlichen. Der Unterkiefer aus den Sandgruben von Mauer hingegen ist über jeden Verdacht erhaben.