23. Januar 1948 Generalstreik in Bayern
Arbeitszeit, Rente, Geld waren nicht das Thema. Mehr als eine Million Bayern, die am 23. Januar 1948 die Arbeit niederlegten, wollten sich endlich wieder einmal satt essen. Und nicht anderen beim Essen zusehen.
23. Januar
Mittwoch, 23. Januar 0015
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Andreas Wimberger
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Julia Zöller
Im Februar 1948 musste ein älterer Herr in einem Münchner Theater übernachten, weil man ihn versehentlich eingesperrt hatte. Der Mann holte sich eine Lungenentzündung und starb einige Tage später - halb verhungert, halb erfroren. Was im Winter 1947/48 kein ganz außergewöhnliches Schicksal war. Denn es fehlte hinten und vorne, vor allem aber an Heizmaterial und an Lebensmitteln.
75 Gramm Fett - pro Monat
Die letzte Ernte in Bayern war besonders schlecht ausgefallen, weil es viel zu trocken war. Und in ganz Deutschland verschärfte sich die Krise. Der allgemeine Mangel wurde damals in Frankfurt am Main verwaltet, vom so genannten Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Der erfasste zwangsweise alle Lebensmittel und kontrollierte die Preise. Kritik an der Wirtschaftspolitik des Verwaltungsrates kam nicht zuletzt aus Bayern. Aber die CSU-geführte Staatsregierung konnte nicht verhindern, dassvon November 1947 an die Lebensmittelrationen im Land schrittweise gekürzt wurden.
Es kam zu ersten Streiks in bayerischen Städten. Als dann in der britischen Besatzungszone, vor allem im Ruhrgebiet, Hungeraufstände drohten, griff die amerikanische Militärregierung ein. Bayern musste mehr Nahrung an die britische Zone liefern. Die Fleisch- und Fett-Zuteilungen für bayerische Bürger wurden deshalb noch weiter herabgesetzt. Ein Erwachsener sollte im Monat nur noch
75 Gramm Fett und 400 Gramm Fleisch bekommen. Diese Rationierung ging vor allem auf Kosten der einfachen Leute. Und die waren empört, weil es immer noch zahlreiche "Luxusgaststätten und Schlemmerlokale" gab, wo "Schieber" und andere "Wirtschaftsverbrecher" in Saus und Braus lebten.
"Die gehören sofort verhaftet und enteignet", forderte der Bayerische Gewerkschaftsbund Anfang 1948.
Die Staatsregierung und die amerikanischen Besatzer witterten hinter solchen Forderungen kommunistische Drahtzieher.Und taten wenig gegen die Not.
Also forderten bayerische Gewerkschafter und Betriebsräte zur Arbeitsniederlegung auf. Am 23. Januar 1948 wurde ein 24-stündiger Generalstreik ausgerufen. An jenem Freitag demonstrierten auf dem Münchner Königsplatz mehrere zehntausend Menschen für wirksame Maßnahmen gegen den Schwarzmarkt. Sogar die "Todesstrafe für Großschieber" wurde auf Plakaten gefordert. In ganz Bayern streikten mehr als eine Million Arbeitnehmer.
Satt machte sie das freilich noch nicht. Deshalb war es auch nicht die letzte Demonstration gegen Hunger und Ungerechtigkeit.
Hunger in den Knochen
Die große Streikwelle setzte im Frühjahr ein. Im Sommer 1948 trat dann in den drei westlichen Besatzungszonen die Währungsreform in Kraft. Das Geld wurde abgewertet und die Preise schossen in die Höhe. Nur Grund und Boden, Produktionsmittel und gehortete Waren, die blieben von der Reform unangetastet. Deshalb gingen die Proteste weiter, weil auch die Ungerechtigkeit weiter ging.
Und weil der Hunger vielen Menschen in den Knochen steckte.
An den Münchner Kammerspielen mussten damals übrigens die Vorführungen ausfallen, weil die Schauspieler wegen Unterernährung krank geworden waren.
Es war ein düsteres Trauerspiel, das in jenem Hungerjahr in Bayern gegeben wurde. Apropos Theater. Der Mann, der sich im Februar 1948 im Theater eine Lungenentzündung geholt hatte und daran starb, war der große bayerische Kabarettist und Philosoph Karl Valentin …