23. Dezember 1938 Quastenflosser gefangen, ein lebendes Fossil
Solche Sensationen hat vielleicht nur noch die Tiefsee zu bieten: Am 23. Dezember 1938 staunt die Meeresbiologin Marjorie Courtenay-Latimer über einen Quastenflosser, der gerade vor Südafrika gefangen worden war. Ein lebendes Fossil!
23. Dezember
Dienstag, 23. Dezember 2014
Autor(in): Yvonne Maier
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ein lebendes Fossil ist ein Tier, von dem man fälschlicherweise glaubt, es sei ausgestorben. Schon vor Urzeiten. Vor Millionen von Jahren, um genau zu sein. Man stelle sich vor, man entdeckt so ein lebendes Fossil. Was man da alles finden könnte! Gut - ein Tyrannosaurus Rex war es nicht gerade, was Marjorie Courtenay-Latimer am Morgen des 23. Dezembers 1938 vor sich sah. Die Leiterin des Städtischen Meeresmuseums der südafrikanischen Stadt East London hatte vor sich einen Fisch. Nur ein Fisch. Nicht wirklich hübsch, mit fleischigen Flossen, die wie Gliedmaßen abstanden und einem mächtigen Unterkiefer. Blau-schimmernd mit silbrig glänzenden Flecken. Und tot war er auch schon und ein bisschen glibberig - es war eindeutig ein Tiefseefisch, dem schon beim Hochholen des Netzes die Druckverringerung im Wasser den Garaus gemacht hatte. Ein toter, hässlicher Fisch. Eineinhalb Meter lang. 52 Kilo schwer.
Fisch. Hässlich. Tot.
Marjorie Courtenay-Latimer machte eine Skizze - und schickte die an den Amateur-Fischkundler James L.B. Smith in Grahamstown. Und der bekam fast einen Herzinfarkt. Denn so einen Fisch kannte er bisher nur ohne Flossen, ohne Schuppen und ohne Glibber. Das Tier auf der Skizze war eindeutig ein Quastenflosser. Und Quastenflosser waren eigentlich schon längst ausgestorben, gemeinsam ausgelöscht mit all den anderen Dinosauriern von dem riesigen Meteoriten - vor rund 65 Millionen Jahren, zum Ende der Kreidezeit. Dass man diesen Fisch auch angeln kann - eine Sensation! Doch leider war der Fisch am Hafen von East London ja auch schon wieder tot. Ein totes lebendes Fossil.
Jahre später, genauso tot
Erst 14 Jahre später und 3.000 Kilometer entfernt von der ersten Fundstelle, zwischen den Komoreninseln und Madagaskar, wurde ein weiterer dieser seltsamen Fische entdeckt. Und hier hatte er sogar schon einen Namen: Kombessa. Denn die Einheimischen kannten diesen Fisch schon lange. Von wegen verschollen. Sie kannten ihn sogar so gut, dass sie ihn eigentlich gar nicht so gerne mochten, denn er schmeckt nicht besonders. Doch auch die Fischer hier kannten das lebende Fossil eben nicht lebend, sondern pfannengerecht - nur tot. Erst Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Verhaltenspsychologie konnten 1987 die ersten Filmaufnahmen von den lebenden lebenden Fossilien machen.
Wieder Zehn Jahre später und 10.000 Kilometer weiter in Indonesien. Amerikanische Studenten spazieren über einen Fischmarkt. Und was sehen sie auf einem der Tische? Einen weiteren der seltenen Quastenflosser - es ist wie ein Wunder. Denn seit Marjorie Courtenay-Latimer den ersten von ihnen wiedergefunden hat, sind die Quastenflosser sicher sogar noch seltener geworden: Wie alle Meeresbewohner leiden sie unter Überfischung und dem Klimawandel. Zählen konnte sie bislang natürlich noch niemand. So viel meint man zu wissen: An den Komoren gibt es nur noch 200 von ihnen. Welche Ironie: Da halten sich diese seltsamen Fische über 145 Millionen Jahre auf dieser Erde. Überleben einen Meteoriteneinschlag und die Eiszeit. Und jetzt sind sie vom Aussterben bedroht. Innerhalb von nicht einmal hundert Jahren. Ob das einem lebenden Fossil mit Namen Tyrannosaurus Rex auch passiert wäre?