Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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24. August 1737 Der Kastrat Farinelli singt vor dem König

Jede Zeit hat ihre Wunder. Das barocke Spanien erlebte eines, als Farinelli zum umjubelten Kastraten-Star aufstieg und der skandalöse König Philipp V. schwermütig wurde. Da sang am 24. August 1737 Farinelli vor dem König.

Stand: 24.08.2010 | Archiv

24. August 1737: Der Kastrat Farinelli singt vor dem König

24 August

Dienstag, 24. August 2010

Autor(in): Silvia Lamprecht

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz

Jede Zeit hat ihre Wunder. Im Spanien des 18. Jahrhunderts geschah eines, das sich nie sonst hätte ereignen können. Es war die Zeit des Barock und der absolutistischen Herrscher, deren Launen die Gesetze schufen. Wo die Natur ihre Grenzen hatte, fand man Mittel und Wege, es den Göttern gleichzutun und das Unmögliche möglich zu machen: Unwegsame Sümpfe wichen Schlossanlagen, und während die Lieder des Volkes in Vergessenheit gerieten, kreierte die Oper grandiose Illusionen. Und da man sich an Engelsstimmen zu berauschen wünschte, erschuf man auch diese – indem man besonders talentierter Knaben kastrierte. Auf einen kommen wir noch zurück.

Den Boden, auf dem solcher Luxus blüht, erhielt sich die Monarchie durch Kriege und arrangierte Heiraten. So bescherten Inzucht und das gekünstelte Hofleben manchem Herrscher ein Leben in Siechtum. Philipp V. war einer von ihnen. Er litt an Migräne und Melancholie und taugte nie so recht zum Regenten. Die Politik überließ er seinen Beratern und den Frauen, zunächst der Hofdame seiner Gemahlin. So konnte er seinen wahren Leidenschaften frönen: Der Jagd und der Fleischeslust. Ein Zeitgenosse bemerkte dazu, der König brauche nichts als „einen Beichtstuhl und die Schenkel einer Frau“.

Nach dem Tod seiner Gattin wurde daher eilig für Ersatz gesorgt: Elisabeth Farnese übernahm den Platz an seiner Seite und somit praktisch die Herrschaft über Spanien. Als Ehefrau musste sie dem König trotzdem zu Diensten sein, und das war wahrhaftig kein Vergnügen: Philipp verfiel zusehends dem Wahnsinn und verkam auch körperlich. Er scheute das Wasser, wechselte kaum mehr seine Kleider, und hielt sich immer wieder für tot. Die Königin fürchtete um ihre teuer erkaufte Macht, denn nach seinem Tod wäre es damit vorbei gewesen. Also bemühte sie die besten Ärzte, aber es half nichts. Was Elisabeth brauchte, war ein Wunder. Ein Wunder, die Spezialität des Barock. Und einem huldigte man jetzt in ganz Europa: Es war die Stimme eines Kastraten, des Neapolitaners Carlo Broschi, der sich Farinelli nannte. Wer ihn gehört hatte, überschlug sich in Lobeshymnen. Einer Engländerin entfuhr: „There is one God – and one Farinelli!“. Wer, wenn nicht er, sollte das Wunder vollbringen?

Elisabeth sandte ihm einen Hilferuf nach London, wo die Opernsaison gerade auslief, und er willigte ein.

Philipp wusste nichts von alledem. Er lag seit Monaten in einer schweren Krise, und mochte außerdem seit jeher keine Musik: Der Lärm ging ihm auf die Nerven. Doch dieses Detail ließ seine Frau außer acht. Am Abend des 24. August 1737 führte sie Farinelli in einen Nebenraum von Philipps Schlafgemach. So war er vor dem Kranken verborgen, der niemanden mehr empfing. Jetzt musste sich erweisen, ob ihn seine Kunst erreichen konnte. Es ist nicht überliefert, welche Arien Farinelli an diesem Sommerabend sang. Aber man weiß, dass der König lächelte. Wie von der Stimme eines Engels berührt fand er die Kraft, den Sänger an sein Bett zu rufen und um weitere Lieder zu bitten. Dann versprach er, ihm jeden beliebigen Wunsch erfüllen. Farinelli bat ihn nur aufzustehen, sich zu waschen und zu rasieren und seine Staatsgeschäfte wieder aufzunehmen.

Auf Verlangen des Königs blieb er am spanischen Hof und sang jeden Abend für ihn. Heilen konnte er ihn nicht, aber er blieb ihm bis zum Ende treu und erleichterte ihm viele schwere Stunden. Das Glück einer eigenen Familie blieb Farinelli verwehrt, doch nun prägte er als enger Vertrauter des Königshauses sogar die große Politik. Jede Zeit hat ihre Wunder. Und jedes Wunder hat seinen Preis.


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