28. November 1925 Reichspatent auf die "zersägte Jungfrau"
Wem gehört das Patent auf Zaubertricks, die ein imaginärer Magier erfunden hat? Autorin: Henrike Leonhardt
28. November
Montag, 28. November 2016
Autor(in): Henrike Leonhardt
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Hereinspaziert! Hereinspaziert! Sen-sa-tio-nell! ... Es ist kaum zu fassen – trotz all der Super-Zaubershows und aller virtuellen Magie: DIE ZERSÄGTE JUNGFRAU! Ungebrochen, nicht totzukriegen, noch immer ein Dauerrenner, Dauerbrenner im Repertoire der bekanntesten Illusionisten ... Nein, wir hüten uns aus der Trickkiste zu plaudern, verfolgen indes ein wenig ihre Geschichte:
König der Zauberer
Als erster soll der große Taschenspieler Torrini den Gruseltrick vorgeführt haben - 1828, vor dem Sultan Selim III., in Konstantinopel. Torrini sei der Lehrmeister des großen Zauberkünstlers Robert-Houdin gewesen, so heißt es. Jean Eugène Robert-Houdin. Einer der bedeutendsten Uhrmacher, Mechaniker und Automatenbauer seiner Zeit. In seinen 1858 erschienenen Memoiren hat er festgehalten, wie er außerdem - auch durch diesen Torrini - zum "König der Zauberer" aufstieg ... Dem Lehrmeister hat er ein ganzes Kapitel gewidmet. Torrini, alias Graf Edmond de Grisy, ein vor der französischen Revolution aus Paris nach Italien geflohener Arzt, habe dort seine Hobby-Taschenspielerkunst vervollkommnet und mit großem Erfolg zur Profession gemacht. Ausführlich lässt Houdin den Grafen zu Wort kommen über seine gefeierten Auftritte, vor Papst Pius VII., zum Beispiel, oder vor dem Sultan am Bosporus. Will man dann - neugierig geworden - Näheres und Weiteres über diesen großen Illusionisten Torrini und seine Tricks erfahren, so merkt man allerdings, dass alle Kreuz- und Querverweise um drei Ecken wiederum auf Houdin zulaufen und - dort steckenbleiben.
Der imaginäre Magier
Recherchen bestätigen einen bald gehegten amüsanten Verdacht: Dieser Torrini, Graf Edmond de Grisy, hat realiter nie existiert, die ihm zugeschriebenen Tricks wurden weder von Torrini noch von Houdin je aufgeführt. Torrini ist ein Kunstprodukt, eine virtuelle Trickfigur des genialen Zauberers, Automatenschöpfers und Schriftstellers Robert-Houdin. Der Magier hat einen imaginären Magier erschaffen.
Herbeigezaubert, nicht ohne Eigennutz, um seine nicht aufgeführten Ideen aus der Kiste zu lassen, in Worte zu fassen. Ein Geschenk an die nach ihm lebenden Illusionisten. Die griffen seine Ideen auf; materialisierten die Kopfgeburten, nachdem Houdin - "der Vater der modernen Magie" - schon lange tot war.
1921 haben - unabhängig voneinander - drei bekannte Zauberkünstler den Gruseltrick einer zersägten Person in verschiedenen Variationen und miteinander konkurrierend zum ersten Mal auf die Bühne gebracht: Horace Goldin, Selbit und The Great Leon. Horace Goldin, der wegen des atemberaubenden Tempos seiner Vorführungen "Wirbelwind-Hexenmeister" genannt wurde, reagierte am schnellsten: Am 28. November 1925 erhielt er als Erfinder der "zersägten Jungfrau" das Deutsche Reichspatent, Nummer 431423. Als die Berliner Presse sämtliche Details ausplauderte, war er gezwungen, die Sensation zu toppen: Statt der alten knirschenden Handsäge setzte er nun eine rasende Kreissäge an und ein ... trotzdem donnernder Applaus!