29. Dezember 1959 Viel Platz für Kleinigkeiten
"Es ist viel Platz auf kleinstem Raum", verkündete der Physiker Richard Feynman vor Studenten - der Beginn eines atemberaubenden Schrumpfungsprozesses in der Elektronik. Autor: Florian Hildebrand
29. Dezember
Donnerstag, 29. Dezember 2016
Autor(in): Florian Hildebrand
Sprecher(in): Florian Hildebrand
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Wie viele Engel passen auf eine Nadelspitze? Im Mittelalter war das eine beliebte theologische Frage. Glaubenskorrekt war damals nur eine Antwort: „Sämtliche Engel passen drauf“. Mit allem Anderen, „ein Engel, zwei vielleicht, aber höchstens drei“ hätte man seinerzeit an Gottes Allmacht gezweifelt. Nach heutiger Rechnung würde es also, wenn man allein die Schutzengel für die gesamte Weltbevölkerung nimmt, sieben Milliarden Engel auf die Spitze treiben.
Einer der genialsten Physiker des 20.Jahrhunderts…
Jetzt die gleiche Frage, aber physikalisch: Wie viele Autos würden in eine normale Garage passen? Die gleiche Antwort: nicht eins, zwei oder höchsten drei; alle passen rein, derzeit eine Milliarde auf der Welt.
Das behauptete jedenfalls Richard Feynman, einer der genialsten Physiker des 20.Jahrhunderts. Unter einer Bedingung, meinte Feynman, man müsste sie kleiner bauen, viel kleiner. Nämlich nur einen Millimeter groß. Physikalisch würde sich dadurch nichts ändern.
Feynman war zu seiner Zeit am California Institute Of Technology, der Technischen Universität des US-Staates, sicher der kreativste Kopf überhaupt. Der Mann spintisierte gerne herum und grinste dabei immer so hintergründig. Aber dieses eine Mal, es war der 29. Dezember 1959, da phantasierte er doch reichlich abstrus herum. Man kann, fabulierte er an diesem Tag vor Studenten, man kann auch Computer kleiner machen. Vielleicht so groß wie eine Hand. Trotzdem würde die ganze Encyclopaedia Britannica mit 25 Bänden hineinpassen. Ja, also was denn noch. Obwohl 1959 die modernsten Computer so groß wie eine Villa waren und gerade mal 247 mal 38 rechnen konnten. Die Techniker waren froh, wenn sie die Monsterschränke mit ihren unendlich vielen Röhren und Leitungen überhaupt zum Laufen brachten. Und Dr. Feynman dachte ans Kleinermachen. “There’s plenty of room at the Bottom” hatte er an diesem 29.Dezember behauptet, „es ist eine Menge Platz auf kleinstem Raum“.
… und ein begnadeter Prophet
Groß, sollte das heißen, kann jeder, kleiner machen ist die Kunst. Und seither schrumpft alle Elektronik von Tag zu Tag: in Radios, Computern, Telefonen, Satelliten, Autos, Rechenanlagen. Ein normaler Computer zu Hause ist innerhalb von 20 Jahren kleiner geworden, sein Speicherplatz aber zehntausend mal größer. Oder anderes Beispiel: 1959 brauchte eine Wagneroper Platz auf gut zwei Dutzend 78er-Schallplatten, heute bequemt sie sich locker in einen MP3-Spieler. Und der ist allenfalls groß wie eine Packung Kaugummi.
Richard Feynman war ein begnadeter Prophet.
Und dabei stürzt sich das Miniaturisieren erst jetzt in richtig winzige Dimensionen. Die heißen Nano. Zum Beispiel in der Medizin. Ein Nano-U-Boot kurbelt durch die menschlichen Adern und schabt mit einer winzigen Fräse am Herz die hässlichen Gefäßverengungen weg. Gibt’s noch nicht, kommt aber bald. Oder: Chirurgen schieben feinste Schläuche durch Gefäße, und die enthalten Licht, Kamera und Operationsbesteck. Der Arzt sitzt am Bildschirm und operiert wie auf einer Spielkonsole.
Engel müssten sich also nur entsprechend klein machen, dann passen sie auch für Ungläubige sämtlich auf die Nadelspitze. Nicht mehr dank Gottes Allmacht, sondern dank Richard Feynmans Prophetie. Das gilt auch für den Putto da drüben, mit dem dicken Hintern.