9. Oktober 1895 Arthur Schnitzlers "Liebelei" hat am Burgtheater Premiere
"Liebelei" heißt Arthur Schnitzlers erster großer Bühnenerfolg. Das Thema: außereheliche Liebe, Doppelmoral und die Normen der damaligen Wiener Gesellschaft – eine "Tragödie des Selbstverständnisses liebender Menschen".
09. Oktober
Freitag, 09. Oktober 2020
Autor(in): Brigitte Kohn
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Im September 1887 fährt Arthur Schnitzler, damals ein junger Arzt und später ein bedeutender Schriftsteller der Moderne, mit der Pferdebahn durch Wien. Draußen auf der Plattform stehend, sieht er eine schöne junge Frau die Straße überqueren; sie lächelt ihm zu und er springt ab. Sie heißt Jeannette Heeger und arbeitet als Stickerin. Gegen galante Begleitung hat sie nichts einzuwenden und auch nichts gegen eine Tasse Kaffee in seiner Wohnung.
Ein "süßes Mädel"
Das ist der Auftakt zu einer heißen Affäre, wie sie bei jungen Männern aus besseren Kreisen durchaus üblich ist. (Die dürfen und sollen sich austoben, bevor ihre Familien eine gute Partie für sie finden.) So ein "süßes Mädel", wie die Wiener sagen, aus dem Volk ist gefahrloser zu verführen als eine verheiratete Dame und kostengünstiger als eine Prostituierte. Ab und zu ein Ausflug in den Prater, wenn‘s hochkommt, auch mal ein Wochenende auf dem Land, mehr muss der junge Herr nicht investieren. Und das "süße Mädel" ist gut beraten, wenn es sich nicht mehr erwartet; eine Ehe mit so jemandem wie ihr kommt natürlich nicht in Frage.
So weit, so einfach: Aber die Liebe ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn ein Arthur Schnitzler im Spiel ist. Er quält Jeannette mit seiner Eifersucht und verführt doch selbst so ziemlich jede Frau, die ihm gefällt. Jeannette unternimmt einen Selbstmordversuch, ihm ist das zu viel Drama, er verlässt sie. Es gibt viele Frauen in seinem Leben. Über seine Liebesnächte mit dieser oder jener führt er penibel Buch und rechnet sie am Monatsende zusammen.
Als Dichter ist er tiefgründiger. Er kennt das Seelenleben der Frauen aus allen Schichten, vor allem das der "süßen Mädels", und er attackiert die Verlogenheit der bürgerlichen Moral mit einer psychologischen Präzision, die selbst sein Zeitgenosse Sigmund Freud bewundert.
"Was bin denn ich?"
Ein einfaches Wiener Mädel steht dann auch im Mittelpunkt des Dreiakters "Liebelei", der am 9. Oktober 1895 im Wiener Burgtheater uraufgeführt wird und Schnitzler den Durchbruch als Bühnenautor sichert. Christin liebt den Reserveoffizier Fritz mit unbedingter Hingabe. Fritz ist ihr Ein und Alles, ihr Abgott, ihre Seligkeit. Er seinerseits hat noch eine weitere Geliebte, eine verheiratete Dame, von der sie erst erfährt, als Fritz tot ist: Der Ehemann der anderen hat ihn zum Duell gefordert und ihn erschossen. "Und ich, was bin denn ich", fragt sich Christin verzweifelt, "was bin denn ich ihm gewesen?"
Eine Liebelei, mehr nicht, möchte man meinen. Doch Fritz hat auch ein Herz gehabt: Das zeigt sich am Vorabend des Duells, als er Christin zum ersten und zum letzten Mal daheim besucht. Er sagt ihr nicht, was ihm bevorsteht. Den Tod vor Augen will er noch in Erfahrung bringen, wie sie lebt. Und da entsteht so eine Innigkeit zwischen den beiden, so ein Hauch von Geborgenheit, für die im Leben kein Platz war, so eine Ahnung dessen, was möglich sein könnte zwischen Menschen. Die Nachricht von seinem Tod zerstört Christin, sie bringt sich um. Liebe, die keinen sozialen Ort findet, ist gefährlich, das ist so und das bleibt so, auch wenn die Konventionen sich ändern.