Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Oktober 2010 Dekret zur Rettung des Casu Marzu

Casu Marzu – ein Schaftkäse aus Sardinien. Lecker. Überreif. So reif, dass er Maden enthält. Immer noch lecker, finden die Sarden, die EU findet das nicht. Autor: Markus Mähner

Stand: 29.10.2019 | Archiv

29.10.2010: Dekret zur Rettung des Casu Marzu

29 Oktober

Dienstag, 29. Oktober 2019

Autor(in): Markus Mähner

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Er stinkt gar schrecklich!

Nein, die Rede ist nicht von Martin Luthers Wohlgenussäußerungen. Die Rede ist auch nicht vom Mundgeruch des Höllenhundes Cerberus. Die Rede ist von einer lokalen Käsespezialität aus Sardinien. Die regionale Landwirtschaftsbehörde benennt das Odeur des Milchprodukts gleichwohl als "stark & durchdringend"!

Durch Maden veredelt

Das Besondere an dem Casu Marzu, also "verdorbener Käse", zu italienisch formaggio marcio genannten Erzeugnis, ist seine Herstellung. Denn der "Reifeprozess" des auch casu modde, casu cundhidu oder casu fattitu – der gemeine Sarde kennt noch viele Begriffe mehr – genannte Käse; der Reifeprozess wird einer Fliege, oder besser gesagt: ihren Maden, die sie auf dem Käse ablegt, überlassen.

Die essen den bisher eigentlich stinknormalen Pecorino und "veredeln" ihn mit Hilfe ihres Verdauungstraktes zu dem weichen, cremigen Geruchs- und Geschmackswunder, das die Sarden so lieben. Und das sie meist lediglich mit Brot und einem recht starken Rotwein zu sich nehmen.

Die Maden indes essen sie bedenkenlos mit, denn solange die Made noch lebt, scheint ja wohl auch der Casu Marzu noch genießbar zu sein. So die Logik dahinter! Das Problem hierbei ist zweigeteilt: Erstens: Die Maden können bis zu 15 Zentimeter weit springen, wenn sie sich bei ihrer Pecorinoveredelung gestört fühlen. Und Zweitens: Gelangen sie lebendig in den menschlichen Verdauungstrakt, essen sie dort weiter und zwar die Magen- und Darmwände. Das kann dann den Genuss des Käses erheblich schmälern.

Ein lebendiges Nahrungsmittel

Aber ein Sarde wär kein Sarde wüsste er keine Lösung.

Erstens: Beim Essen die Hand vorhalten, damit die Maden nicht ins Gesicht springen! Zweitens: Ordentlich Kauen oder die Maden bereits vor Verzehr mit dem Messer auf dem Brot totdrücken!

Dass dies nicht jedermanns Sache ist, liegt auf der Hand. Und tatsächlich: So sehr die Sarden ihren verdorbenen Käse lieben, so wenig wissen die EU-Hygienevorschriften ihn zu schätzen. Nahrungsmittel, die bei Verzehr noch leben, sind bei der EU-Gesundheitsbehörde generell nicht gern gesehen. Und so ist er eigentlich verboten!

Allein, Italien ist nicht gleich immer Europäische Union. Und Sardinien schon gleich gar nicht. Denn: Nach italienischem Recht gelten die EU-Hygienevorschriften nicht - sofern ein Nahrungsmittel von regional herausragender Bedeutung ist und schon seit über 25 Jahren nach überkommenen traditionellen Rezept hergestellt wird. Dies bewies die Regionalagentur für Entwicklung und technische Unterstützung in der Landwirtschaft der Autonomen Region Sardinien – kurz: ERSAT – in einem Schreiben vom 29. Oktober 2010. Und so steht der Casu Marzu zusammen mit gut 5000 anderen italienischen Spezialitäten auf einer Liste, die ihn als schützenswert ausweist.

In einem Deutschen Supermarkt jedoch wird man den Käse wohl vergebens suchen. Wahrscheinlich würden die Maden den Transport im Kühlwagen auch nicht überleben! Und wir wissen ja: Nur eine lebendige Made ist eine gute Made – zumindest solange sie noch nicht aufs Brot geschmiert wurde.


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