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27. April 1961 Chronobiologe Jürgen Aschoff startet Bunker-Selbstversuch

Seine Bunker-Experimente zur inneren Uhr des Menschen machten Jürgen Aschoff weltbekannt. Als erste Versuchsperson begab sich der Mediziner für mehrere Tage und Nächte selbst in unterirdische Isolation.

Stand: 27.04.2021 | Archiv

27.04.1961: Chronobiologe Jürgen Aschoff startet Bunker-Selbstversuch

27 April

Dienstag, 27. April 2021

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Jürgen Aschoff gibt seine Armbanduhr ab. Es ist Abend, 27. April 1961. In den Kellergewölben der Münchner Universitätsklinik ist es stockfinster. Es riecht muffig. Nur ein unterirdischer Versuchsraum ist frisch gestrichen, hell erleuchtet und vollständig eingerichtet - Wohnzimmer, Waschraum, Toilette - alles komplett fensterlos. Kein Laut dringt bis hier unten vor - und nichts lässt Rückschluss zu auf Tageszeit und Datum. Kommunizieren mit der Außenwelt? Nur schriftlich! Erläuterungen braucht der Mediziner nicht, das Experiment hat er schließlich selbst ersonnen. - Wann Aschoff das Licht ausmacht und schlafen geht, das bleibt ihm jetzt ganz allein überlassen. Was wohl in den kommenden Tagen mit seinem Zeitgefühl passieren wird?

Kein Tageslicht und keine Uhr

Biologische Rhythmusversuche, die hatte der Forscher bereits mit Küken gemacht. Und mit Mäusen. Er hatte sie bei Dauerlicht und im Dauerdunkel aufwachsen lassen und festgestellt: Selbst wenn die Tiere weder Tag noch Nacht kannten, verfügten sie dennoch über so etwas wie einen biologischen Taktgeber. Ihre Aktivität, ihr Wärmehaushalt gehorchte einer geheimnisvollen, inneren Uhr. Was lag also näher, als diese Beobachtung auch beim Menschen zu überprüfen?

Neun Tage und Nächte verbringt Jürgen Aschoff in seinem unterirdischen Verlies, völlig abgekoppelt vom normalen Tagesablauf. Keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehen. Während seine Gedanken zunächst ausschließlich darum kreisen, wie spät es wohl ist, findet er es bald sogar angenehm, genau das nicht zu wissen. Aschoff geht zu Bett, wenn er müde wird, und steht auf, wenn er aufwacht. Er notiert regelmäßig seine Körpertemperatur, füllt seinen Urin in Gläser ab. Die medizinische Auswertung im Nachhinein ergibt: Trotz Ausschluss aller Zeitgeber hat er weiterhin zuverlässig eine rhythmische Aktivität aufrechterhalten.

Er ist zwar jeden Tag ein klein wenig später aufgestanden, aber er hat regelmäßig rund acht Stunden lang geschlafen. Seine Körpertemperatur ist dabei akkurat um ein halbes Grad hin und hergependelt.

Inneres Gespür für Tag und Nacht

Wie ist das möglich? Aschoffs Pionierversuch über die biologischen Rhythmen des Menschen erregen schnell Aufsehen. Am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Andechs kann der Forscher einen maßgeschneiderten Bunker in Auftrag geben - ein unterirdisches Apartment mit Teppichboden, Trimm Dich-Rad und Musikanlage hinter meterdicken Mauern. Es gibt einen Schaltraum zur Überwachung der Probanden - Konzentration, Stimmung, körperliche Leistungsfähigkeit - alles wird genau erfasst.

Ganze 25 Jahre lang setzt Jürgen Aschoff seine einzigartige Versuchsreihe fort - zur Chronobiologie, wie man jetzt sagt. Hunderte von Versuchspersonen stehen ihm für seine Isolationsexperimente zur Verfügung. Oft wochenlang. Und die Menschen melden sich freiwillig. Die Warteliste ist lang. Einige Versuchspersonen kommen sogar mehrfach, manche wollen gar nicht mehr raus. Und andere sind enttäuscht, wenn sie wieder ans Tageslicht müssen - in ein Leben mit Wecker und Armbanduhr. Viele wären gerne länger geblieben.


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