23. November 1989 DEFA-Film "Spur der Sterne" wieder in Ost-Berliner Kino (23.11.1989)
Das Publikum liebt den Film. Die Parteiführung ist entsetzt, rückt "Spur der Steine" doch einen der ihren in ein ungünstiges Licht – als Bösewicht in der Liebesgeschichte. Also wird der Film von der DDR-Leinwand verbannt, um nach der Wende umso erfolgreicher zurückzukehren in die Kinos. Autor: Hartmut E. Lange
23. November
Dienstag, 23. November 2021
Autor(in): Helmut E. Lange
Sprecher(in): Irina Wanka
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Berlin Alexanderplatz, Juni 1966. An einem Gerüst prangt das überlebensgroße Porträt von Manfred Krug mit Zimmermannshut. Überall in der DDR wirbt das Foto für den Film "Spur der Steine". Regisseur Frank Beyer zählt zu den großen Talenten der jungen DEFA-Generation. Mit 31 Jahren hat er bereits fünf 5 Kinofilme gedreht. Großartige historische Stoffe, nun also sein erster Gegenwartsfilm.
Die klassische Dreiecksgeschichte spielt auf einer Großbaustelle, auf der es drunter und drüber geht. Dort regiert der raubeinige Brigadier Balla, alias Manfred Krug. Ein smarter Parteisekretär taucht auf, der für Ordnung sorgen soll. Dazwischen eine junge Ingenieurin, in die sich beide Kampfhähne verlieben. Die Kerle stehen sich wie Outcast und Sheriff in einem Western gegenüber. Und wenn Krug mit seiner Zimmermanns-Truppe auf die Kamera zumarschiert, erinnern die Bilder an Die glorreichen Sieben.
Die Umworbene entscheidet sich für den Eleganteren, wird schwanger, und muss feststellen: falsche Wahl! Der Parteisekretär ist ein Schuft, bereits verheiratet und nicht gewillt, die Ehefrau zu verlassen.
Das Publikum liebt den Film
Vor der offiziellen Premiere wird "Spur der Steine" bei den Arbeiterfestspielen in Babelsberg gezeigt. Eine Woche ausverkauftes Haus, jeden Abend anhaltender Beifall – das Publikum liebt den Film.
Dann der Schock. Über Nacht verschwinden Plakate und Fotos aus den Schaukästen der Kinos. Ein Machtwechsel in Moskau steckt dahinter. Leonid Breschnew, der neue Mann im Kreml, ist ein Hardliner. Künstler sollen gefälligst den Sozialismus und seine Partei lobpreisen, nicht kritisieren.
Als der Roman "Spur der Steine" 1964 erscheint, ist er ein Bestseller.
500.000 Exemplare werden verkauft, Autor Erik Neutsch mit dem Nationalpreis geehrt. Und plötzlich soll die Verfilmung des hochgelobten Buches parteischädigend sein?
Der Kulturminister bemüht "Volkes Stimme"
Kulturminister Klaus Gysi inszeniert ein Schmierentheater. Am Premierenabend kommt es im Kino International zu Tumulten. Immer wieder wird die Vorführung durch Pfiffe und Zwischenrufe unterbrochen.
Hier wird unsre Partei beleidigt! brüllt es aus dem Saal.
Den Regisseur einsperren! fordern empörte Arbeiter.
Von wegen Arbeiter, die Störer sind Parteischüler, Kampfgruppen- und Stasi-Leute. Auch in anderen Städten organisiert die SED Volkes Stimme, mit entlarvenden Pannen. In Leipzig kreischt eine Frau hysterisch, noch bevor die Liebesgeschichte exponiert ist: Unsre Bardeisekredäre schlafn nich mit fremdn Fraun! Die Krakeelerin hat den Film bereits gesehen, aber - wie alle schlechten Komparsen - Probleme mit dem Timing. In Rostock vergisst man den Kinoleiter zu informieren. Als die Randale beginnt, wählt er 110. Die Polizei rückt an und schmeißt die Störenfriede raus.
Nach drei Tagen verschwindet der Film aus den Kinos - auf Wunsch der Arbeiterklasse - behauptet die Parteizeitung Neues Deutschland. Frank Beyer muss die DEFA verlassen, wird ans Theater Dresden verbannt.
Erst 23 Jahre später kann der Film den Giftschrank verlassen. Die Mauer ist offen, die Zeit der Filmverbote vorbei. Am 23. November 1989 erfolgt der Neustart für "Spur der Steine". Wieder im Kino International, wieder im Beisein von Team und Darstellern. Störungen gibt’s nicht, aber standing ovations.