30. April 1895 Ein Jahr Einzelhaft für Oskar Panizza
Sein Stück "Das Liebeskonzil" war wegen sexueller und religiöser Tabuverletzungen ein klarer Fall für die Zensur. Am 30. April 1895 wurde Oskar Panizza zusätzlich auch noch zu einem Jahr Einzelhaft verurteilt.
30. April
Freitag, 30. April 2010
Autorin: Gabriele Bondy
Redaktion: Thomas Morawetz
Der Wahnsinn war Oskar Panizza buchstäblich in die Wiege gelegt worden. Ein Onkel starb im Irrenhaus. Ein anderer hatte sich erschossen. Eine Schwester versuchte mehrmals, sich das Leben zu nehmen. Er selbst wurde früh von der Angst geplagt, verrückt zu werden. Kein Wunder. Denn auch seine Eltern trugen nicht gerade zur geistig-seelischen Stabilisierung bei. Mutter Mathilde fühlte sich dem fanatischen Protestantismus verpflichtet, während der Vater, Karl, im tiefsten Katholizismus verankert war. Die beiden fetzten sich bis aufs Messer. Eine allgemeine Verunsicherung war an der Tagesordnung. Oskar, das vierte von fünf Kindern, entwickelte bald psychische Auffälligkeiten. Erst mit 23 machte der Leistungsverweigerer das Abitur und begann, in München Medizin zu studieren. Sein Hauptinteresse galt der Psychiatrie. Das brachte ihn berufsgemäß in die Irrenanstalt. Sein dortiger Chef war Professor Bernhard von Gudden, Arzt Ludwigs II., der mit seinem König im Starnberger See versinken sollte.
Mit 25 Jahren infizierte sich Panizza an der Syphilis. Gefiel sich dabei aber mehr und mehr in der Rolle des genial verrückten Syphilitikers, der zutiefst davon überzeugt war, nur durch permanentes Schreiben überleben zu können. Sein erster Gedichtband "Düstre Lieder", trug aber ebenso wenig wie nachfolgende Veröffentlichungen zu Ruhm oder Reichtum bei. Denn wegen seiner sexuellen und religiösen Tabuverletzungen, stufte die Obrigkeit seine Arbeiten bald als unsittlich und staatsfeindlich ein und verbot kurzer Hand ihre Verbreitung.
Auch sein Hauptwerk "Das Liebeskonzil" fiel der Zensur zum Opfer. Die im Stück auftretenden Personen: Ein tattriger Gottvater, samt debilem Jesuskind und abgehalfterter Jungfrau Maria. Das Dreigestirn ist entsetzt über das unsittliche Treiben am Hofe des Borgiapapstes Alexander VI. Doch Gott ist zu ausgebrannt, um neue - bessere - Menschen zu formen und handelt mit dem Teufel eine deftige Strafe aus, die seine Geschöpfe unmittelbar nach ihrem sündigen Tun treffen soll: Die Lustseuche Syphilis! Durch Salomé, des Teufels schöner Verführerin, wird zuerst der Papst samt Gefolge angesteckt ... und danach die halbe Welt.
Die Konsequenzen solch gotteslästerlicher literarischer Ergüsse waren vorauszusehen. Aber den Rat der Freunde, sich ins Ausland abzusetzen, hatte Oskar Panizza in den Wind geschlagen. Stattdessen fand er sich am 30. April 1895 wegen "Blasphemie" auf der Anklagebank. Doch anstatt nun den reuigen Sünder zu geben, trumpfte er in seiner Rolle als Märtyrer für die literarische Freiheit auf. Sein geradezu selbstmörderisches Geständnis, Atheist zu sein, vergrätzte die katholischen Geschworenen derart, das einer ausrief: "Wenn der Hund in Niederbayern verhandelt worden wär, der kam net lebendig vom Platz!" Die Münchner verdonnerten ihn nur zu einem Jahr Einzelhaft. Die Kosten des Verfahrens und des Gefängnisaufenthaltes gingen zu Lasten des Angeklagten. Nach Abbüßung seiner Strafe war er so verstört, das er - freiwillig - über 16 Jahre in der Nervenheilanstalt verbrachte.
Kurz vor Panizzas Tod äußerte sich Kurt Tucholsky bewundernd über den verfemten Autor: Als der noch bei Verstande war, wäre er, "der frechste und kühnste, der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes gewesen. Einer, gegen den Heine eine matte Zitronenlimonade genannt werden kann, der in seinem Kampf gegen Kirche und Staat bis zu Ende gegangen ist."