2. August 1902 Emil Rosenows "Kater Lampe" uraufgeführt
Ein streunender Kater treibt in einem Dorf im Erzgebirge sein Unwesen. Der Spielwarenindustrieort Rothenthal in Sachsen ist Schauplatz der Handlung von Emil Rosenows Dialektkomödie "Kater Lampe". Doch Rosenow war nicht nur Autor, sondern auch Reichstagskandidat der Arbeiterklasse.
02. August
Montag, 02. August 2021
Autor(in): Justina Schreiber
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Es gab Zeiten, da scheuten SPDler wirklich keine Mühe. Emil Rosenow zum Beispiel, in seiner Zeit der jüngste Reichstagsabgeordnete überhaupt. Er schaffte es, nach ermüdenden Parlamentsdebatten nachts noch eine Komödie zu schreiben, die bis heute gern gespielt wird: Das selbstverständlich sozialkritische Stück namens "Kater Lampe" kam am 2. August 1902 im Breslauer Neuen Sommertheater zur Uraufführung.
In den Stuben der Spielwarenschnitzerfamilien
Doch der junge Politiker konnte seinen literarischen Erfolg kaum genießen. Er starb kurze Zeit später knapp 33-jährig an den Folgen eines Gelenkrheumatismus, den er sich – wie es hieß – bei der "Landagitation" zugezogen hatte. Mehr Einsatz geht ja wohl kaum! Emil Rosenows Wahlkreise lagen nämlich im Erzgebirge. Und es gab noch keine Goretex-Klamotten! Aber seine Gesundheit war vermutlich das letzte, was den Sozialdemokraten interessierte, wenn er sich in den zugigen Stuben der Spielwarenschnitzerfamilien einen Eindruck vom Elend der Heimarbeit verschaffte, um danach vielleicht durch meterhohen Schnee zu einem Reiheschank oder Hausbräu zu stapfen, wo Waldarbeiter und Kleinbauern ihre Sorgen in Bier ertränkten. "Tag ooch!" und "Prost, die Herren!" Hier ging es hitzig her: um zu hohe Steuern und zu niedrige Löhne und immer wieder um die blutsaugerischen Spielwarenverleger, die laufend das Kaufgeld reduzierten. Emil Rosenow stammte zwar aus dem Rheinland, aber die sächselnden Klagen verstand er, der Sohn eines Schuhmachermeisters, sicher gut: "Fier sechzig Stück Holzsoldaten geschnitzelt, geleimt, bemolt, zahlen se itze noch fufzehn Pfeng´." So legte er es einem seiner Protagonisten in "Kater Lampe" in den Mund.
Gerhart Hauptmanns naturalistische Dramen über die Weber und über einen gestohlenen Biberpelz mögen als Vorbilder gedient haben. Was soll´s. Der Zweck heiligt die Mittel. Insider-Informationen bekam der engagierte Sozi von seinem Wahlhelfer vor Ort, einem Holzdrehermeister. Der steckte ihm wohl auch die angeblich wahre Geschichte, wie hier einmal in einem Dorf ein streunender Kater für Chaos sorgte, weil er die Wäsche eines Spielwarenunternehmers beschmutzt hatte und dieser eine behördliche Untersuchung des Falles verlangte, die aber kein befriedigendes Ergebnis brachte.
Fleisch auf dem Tisch
Wie Emil Rosenows lustiges Dialektstück ausbuchstabiert, landet das subversive Subjekt nämlich zwischenzeitlich im Kochtopf der Gemeindedienersgattin - wobei sich dann auch der Landbriefträger und der Bezirksgendarm an dem Braten gütlich tun, im Glauben, es handele sich um einen Hasen. Deshalb "Kater Lampe". Doch das Problem lag eben nicht auf den Tellern. "Machen´s dahie im Erzgebirg die Leute nich´ alle so, hä?" ließ der Dichter die Köchin fragen. "Wenn die Strumpwirker, die Schnitzlersleute ja emal ´n Stück´l Fleesch uff´m Tische ha´m, so is ´s Pferdewurscht oder e Hund´l oder ´ne Katze." Kein Wunder, bei der sauungerechten Verteilung der Güter. Dank "Kater Lampe" konnte das Publikum jetzt auch mal seinen Spaß an den Missständen haben – auf Kosten von Obrigkeiten und Honoratioren. Logisch, dass viele Erzgebirgler bei den Reichstagswahlen ihre Stimmen dann lieber den Roten gaben als denen, die sich "fei dicke tun".