16. Mai 1923 Erster Selbstwählferndienst in Weilheim
Im oberbayerischen Weilheim wurde Telefongeschichte geschrieben: Am 16. Mai 1923 ging dort der erste Selbstwählferndienst der Welt in Betrieb. Doch es gab auch ein Opfer: das 'Fräulein vom Amt'. Autor: David Globig
16. Mai
Donnerstag, 16. Mai 2019
Autor(in): David Globig
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Unsere Telefone sind musikalisch - naja, wenigstens einigermaßen. Ein zweigestrichenes f und ein dreigestrichenes ges ergeben den Wählton für die Ziffer drei. Und wenn man die Rautetaste drückt, sind ein dreigestrichenes ges und ein zweigestrichenes ais zu hören - das ais jedenfalls so ungefähr. Bei den anderen Tasten haut es leider weniger gut hin. Die restlichen Wähltöne kommen deshalb eher dissonant daher.
"Hier Amt, was beliebt?"
Allerdings geht es hier auch gar nicht um Wohlklang, sondern darum, dass sich mit Hilfe dieser Töne Telefongespräche vermitteln lassen. Anhand der Tonkombinationen kann nämlich eine Elektronik erkennen, welche Ziffern man gerade wählt. Die Verbindung zum gewünschten Teilnehmer wird dann automatisch hergestellt.
So etwas ist in den Anfangsjahren des Fernsprechens überhaupt nicht vorstellbar. Wer telefonieren will, braucht das 'Fräulein vom Amt'. Man dreht eine Kurbel am Telefon, woraufhin sich eine Dame aus der Vermittlungsstelle meldet: "Hier Amt, was beliebt?". Der militärische knappe Ton ist durch eine entsprechende Dienstanweisung festgelegt. Als Anrufer muss man dann die gewünschte Nummer nennen - möglichst ähnlich zackig. Ist der Anschluss frei, steckt das 'Fräulein vom Amt' an einem großen Vermittlungsschrank eine Kabelverbindung: Endlich kann man telefonieren. Das Ganze dauert allerdings oft ein paar Minuten. Bei Ferngesprächen auch gerne mal eine halbe oder dreiviertel Stunde - selbst wenn der Anruf nur ins benachbarte Ortsnetz gehen soll.
Das ändert sich erst durch eine Erfindung von Almon Strowger, einem amerikanischen Bestattungsunternehmer. Der ärgert sich angeblich darüber, dass die Damen in der Vermittlungsstelle Anrufe von Hinterbliebenen nicht an ihn, sondern an Konkurrenten durchstellen. Um das zu verhindern, entwickelt Strowger Ende des 19. Jahrhunderts eine automatische Vermittlungsmaschine.
Telefongeschichte im oberbayerischen Weilheim
In Deutschland wird diese Technik zuerst 1908 in Hildesheim eingeführt. Allerdings beschränkt man sich anfangs auf Ortsgespräche. Ferngespräche werden nach wie vor von Hand vermittelt. Zumindest bis zum 16. Mai 1923. An diesem Tag wird im oberbayerischen Weilheim Telefongeschichte geschrieben: Das erste Telefonnetz der Welt mit Selbstwählferndienst geht in Betrieb. Wobei 'fern' hier nur relativ ist. Es bezieht sich nämlich auf Orte, die höchstens ein paar Kilometer entfernt sind. Trotzdem: Wer dorthin telefonieren möchte, braucht ab sofort kein 'Fräulein vom Amt' mehr. Stattdessen wählt er die gewünschte Nummer selbst: mit Hilfe einer Drehscheibe am Telefon. Bei jeder Ziffer rattern in der Vermittlungsstelle die mechanischen Anlagen - bis die Verbindung innerhalb von Sekunden schließlich steht.
Trotz aller Vorteile dauert es eine ganze Weile, bis sich diese Technik durchsetzt. In der Bundesrepublik wird die letzte manuelle Vermittlungsstelle für Festnetztelefone erst im Jahr 1966 abgebaut. Zu dieser Zeit kündigen sich schon die nächsten Umbrüche in der Telefontechnik an: Die aufwendigen und vergleichsweise langsamen mechanischen Geräte in den Vermittlungsstellen werden durch Elektronik abgelöst. Und die Wählscheibe am Telefon durch eine Tastatur. Eine Tastatur, die mit Wähltönen arbeitet.