6. März 1998 Flusspferd Knautschke, Berliner Publikumsliebling, in Bronze gegossen
Den vollen Tag träge sein, ein bisschen träumen, ein bisschen herumdümpeln - das reicht für Berühmtheit. Zumindest bei Flusspferd Knautschke, das ganz Berlin liebte. Ost und West. Autorin: Prisca Straub
06. März
Freitag, 06. März 2020
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Seine Eltern fallen im Bombenhagel bei der Schlacht um Berlin. Knautschke überlebt nur knapp - auf dem Boden seines leergelaufenen Flusspferd-Beckens, zitternd, mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Damit seine kupferfarbene Haut nicht ganz austrocknet, übergießt ein Pfleger das Tier als erstes mit einem großen Eimer Wasser.
Nachdem die Geschosse verstummt sind und der Qualm sich verzogen hat, verschafft man sich im Berliner Zoo einen notdürftigen Überblick: Ställe, Pagoden, das prächtige Antilopenhaus - alles liegt in Trümmern. Die Wege - voller verendeter Tiere. Die Greifvögel sitzen verängstigt in ihren zerschossenen Gehegen, zu verschreckt um davonzufliegen. Kriegsende im Zoo, nach schier endlosen Monaten des Chaos' und Grauens: Ein ausgemergelter Löwe irrte schon mal um die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, ein angeschossener Elefant taumelte über den Ku-Damm. Durch die Wucht der Explosionen wurde ein Krokodil ins Freie geschleudert - und ist prompt erfroren. Doch so gab's wenigstens eine nahrhafte Suppe für die ausgedünnte Zoobelegschaft. - Nur 91 Tiere haben das Weltkriegsende überstanden. Und Knautschke? Das zweijährige Flusspferd wird in der Herrentoilette hochgepäppelt und kommt so langsam wieder "uff de Beene"!
"Kohlköppe" für Knautschke
Natürlich, das Futter ist knapp, der Zoo muss Gemüsebeete anlegen. Doch für ihren Liebling Knautschke sparen sich die Berliner die "Kohlköppe" vom Munde ab - und stehen zur Wiedereröffnung des Zoos im Sommer '45 staunend vor dem notdürftig geflickten Wasserbassin: Knautschke sperrt das Maul auf und der Wärter kippt "n'en janzen Eimer Grünzeug rin"! Der Weltkriegsüberlebende wird zum Symbol für den Durchhaltewillen einer ganzen Stadt.
Knautschke, der West-Bulle, sorgt tatsächlich für Aufschwung - und für eine weitverzweigte Flusspferd-Dynastie. "Hochzeits-Besuch" wird organisiert: Flusspferdkuh Grete reist aus Leipzig im Güterzug an.
Der dortige Zoo und der Berliner Zoologische Garten liegen jetzt zwar in unterschiedlichen, miteinander im Clinch liegenden Ländern, doch trotz der politischen Eiszeit setzen die beiden Zoo-Direktoren auf fruchtbare Zusammenarbeit: Das Ergebnis der eigenwilligen Ost-Westbeziehung sind zunächst Sohn Schwabbel, dann kommt Tochter Bulette. Knautschke wird Vater von insgesamt 35 Flusspferdkälbern, die in Zoos rund um den Globus verschickt werden. Die Welt ist im Hippo-Fieber.
Knautschke am Kran
Die 70er und 80er verpaddelt der Zoo-Liebling wohlig-träge in seinem neuen Kachelpool. Knautschke taucht eigentlich nur auf, um publikumswirksam das riesige Maul aufzureißen. Er ist Oberhaupt im Bassin. So lange, bis sich der 45-Jährige eines Tages bei einem Revierkampf mit dem eigenen Sohn so schwer verletzt, dass er eingeschläfert werden muss. Die Nachrufe auf den Berliner Promi sind herzzerreißend.
Doch knapp zehn Jahre später, am 6. März 1998, kehrt Knautschke in den Zoo zurück - am Kran. Als lebensechte Bronzeskulptur wird er am Eingang des Flusspferdhauses aufgestellt. Sein schwerfälliger Körper, die sanften Augen, die Speckfalten: "Allet dufte jetroffen", finden die Berliner!