2. November 1868 Frauenlabor am Massachusetts Institut of Technology eröffnet
Frauen und studieren? Unmöglich meinte man am MIT bis 1883. Dann kam Ellen Richards und setzte sich für die Gründung des Women's Laboratory ein. Autorin: Ulrike Rückert
02. November
Montag, 02. November 2020
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die Studenten nannten sie "das Loch" – eine marode Backsteinbaracke auf dem Gelände des Massachusetts Institute of Technology. Für Ellen Richards war sie eine Trophäe in einem zähen Kampf: im Sommer 1876 verwandelte sie das Gemäuer in ein Chemielabor für Frauen. "Die Frage", schrieb sie, "muss entschieden werden: Haben Frauen die geistige Fähigkeit zu wissenschaftlicher Arbeit?"
Frauen und Wissenschaft? – Ein Experiment
Gelehrte des 19. Jahrhunderts behaupteten, weibliche Gehirne seien dazu außerstande, und geistige Anstrengung mache Frauen zu schwindsüchtigen Nervenkrüppeln. Nach Ellen Richards eigener Erfahrung lag die Gefahr im Gegenteil: sie wurde zum depressiven Elendshäufchen, als sie jahrelang der Mutter im Haushalt und dem Vater im Geschäft half, innerlich zu Tode gelangweilt. Schließlich schrieb sie sich im neuen Vassar College für Frauen ein, wo sie ihre Leidenschaft für Naturwissenschaften entdeckte und nur eine Klage hatte: "Sie lassen uns nicht genug lernen. Sie fürchten, wir würden zusammenbrechen."
Sie wollte die Chemie zum Beruf machen, aber keine Fima wollte sie einstellen und Universitäten nahmen keine Frauen auf. Trotzdem versuchte sie es beim MIT. Heute eine der renommiertesten Hochschulen, war es damals erst fünf Jahre alt und das Konzept, mit dem Schwerpunkt auf Naturwissenschaft und Technik, neu in Amerika. Die Professoren waren sich uneins, ob sich das MIT mit der Zulassung von Frauen positiv profilieren oder ruinieren würde.
Am Ende nahmen sie Ellen Richards als Experiment auf. Man erließ ihr sogar die Studiengebühren, wofür sie dankbar war – bis sie den Grund erfuhr: "Damit sie sagen konnten, ich wäre gar keine Studentin, falls jemand wegen meiner Anwesenheit einen Wirbel machen würde."
Frostig empfangen und allein in ein Labor gesteckt, staubte sie die Tische der Professoren ab und flickte ihre Hosenträger, "damit sie nicht sagen können, das Studieren verdirbt mich für anderes". Ihre Studienleistungen waren so gut, dass gleich zwei Professoren sie als Assistentin beschäftigten, aber als sie promovieren wollte, zog das MIT hier eine rote Linie.
Das Frauenlabor
Auch ihre Erwartung, dass ihr Erfolg die Hochschule für andere Frauen öffnen würde, wurde enttäuscht. Da heckte sie einen neuen Plan aus. Mit dem Einzug der Naturwissenschaften auch in den Schulunterricht mussten viele Lehrerinnen eigene Wissenslücken füllen und Laborpraxis erwerben. In speziellen Kursen sollten sie sich fortbilden und dabei ihre Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten beweisen.
Vom MIT erkämpfte Ellen Richards die Baracke, ein Frauenverein finanzierte die Ausstattung. In den ersten Novembertagen 1876 empfing sie die ersten Schülerinnen im Frauenlabor des MIT. Hunderte unterrichtete sie hier in den folgenden Jahren. Einige nahm das MIT als reguläre Studentinnen auf, bis es nach sieben Jahren Frauen generell zum Studium zuließ. Ellen Richards hatte gewonnen.
Aber der akademische Aufstieg zur Professorin, von dem sie träumte, blieb ihr verschlossen, obwohl sie noch drei Jahrzehnte lang am MIT lehrte und eine anerkannte Expertin auf ihrem Spezialgebiet war.