24. Juli 1961 Gericht urteilt über Marmeladenfüllung der Sachertorte
Jahrzehntelang schwelte der Streit zwischen den Wiener Konditoren: Gehört in die echte Sachertorte nun eine Marmeladenfüllung oder nicht? Und was ist eigentlich das Originalrezept? Und wer hat es überhaupt erfunden? Autorin: Regina Fanderl
24. Juli
Freitag, 24. Juli 2020
Autor(in): Regina Fanderl
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus". Oder: "Die Sachertorte ist eine weltberühmte Spezialität der Wiener Küche." Jede dieser beiden Aussagen ist für sich unbestritten. Die erste machte eine gewisse Tante Jolesch, die zweite steht in einem Wikipedia-Artikel. Aber: beide haben miteinander zu tun. Wenigstens a bissl … weil: ja, ähh, wo fangen wir an?
Am besten bei der Tante Jolesch. Das ist eine symbolische Figur in einer Sammlung von Geschichten und Anekdoten aus dem jüdischen Leben in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Zusammengetragen hat sie der Schriftsteller und Journalist Friedrich Torberg, der sich, den Nazi-Mördern entkommen, auch nach dem Krieg wieder viel in Wiener Kaffeehäusern aufgehalten hat. Zum Beispiel auch im Sacher und im Demel. Das war bekannt. Eines Tages lag ein amtliches Schreiben im Torberg’schen Postkastl: Es war eine Vorladung vom Wiener Handelsgericht zur Ablegung einer Zeugenaussage in der Rechtssache der klagenden Partei Firma Christoph Demel’s Söhne wider die beklagte Partei Firma Hotel Sacher. Zu klären war ausschließlich die Frage: War zu Anna Sachers Lebzeiten die Sachertorte durchgeschnitten und mit Marmelade gefüllt oder war sie es nicht?
Mit Marmelade oder ohne?
Torberg erschien ordnungsgemäß zum Termin am 25. Juli 1961 und gab unbeirrt zu Protokoll, dass es zu Zeiten der Frau Direktor Sacher eine Marillenmarmeladenschicht ausschließlich direkt unter der Schokoladenglasur gegeben habe und die Torte niemals in der Mitte aufgeschnitten und "aprikotiert" worden sei. Trotz der überzeugenden Expertise des Zeugen Torberg kam es zu keinem Urteil im Streit um das Anrecht auf die wahre, die echte, die originale Sacher-Torte. Der Sachverhalt war nämlich kompliziert und hatten seinen Anfang schon im Jahr 1832 genommen.
Bitte mit Sahne?
Damals kreierte der 16-jährige Kochlehrbub Franz Sacher in der Hofküche des Fürsten Metternich die noch namenlose Kalorienbombe. Später eröffnete er einen eigenen Feinkostladen in Wien, wo die Schokoladetorte gut ankam bei der feinen Kundschaft. Ein richtiger Verkaufsschlager wurde sie aber erst durch Sachers Sohn Eduard, der beim K.u.K. Hofzuckerbäcker Demel seine Lehre machte und dort die Rezeptur der väterlichen Kreation vollendete. Später gründete Eduard sein eigenes Hotel, eben das Hotel Sacher, in dem vorrangig seine resolute Frau Anna das Zepter schwang, respektive die Zigarre, und natürlich im Café die "Original Sachertorte" anbot. Das wurmte den ehemaligen Lehrherren Demel.
Als 1934 das Hotel in Philharmoniker Straße in Konkurs ging, blieb dem nächsten Eduard Sacher als Erbe nur noch das Original-Rezept der unhalbierten Torte, das er nun der Konditorei Demel am Kohlmarkt verkaufte. Das wurmte wiederum die neuen Besitzer vom Sacher!
Erst 1963 einigten sich die konkurrierenden Anbieter außergerichtlich darauf, die Bezeichnung "Original Sacher-Torte" dem gleichnamigen Hotel vorzubehalten, während der Demel seine Torte, die auf jeden Fall undurchgeschnittene und damit absolut originale, mit der Aufschrift "Eduard Sacher Torte" anbieten durfte.
Man hat sich halt arrangiert. Übrigens: seine Vorladung, ein bedeutendes Stück Wiener Kulturgeschichte, ließ sich Torberg rahmen und er betonte bis zuletzt, dass ihm selber weder die eine noch die andere Variante schmeckte. Ihm waren beide einfach zu süß…