20. Juli 1711 Händler und Krämer wollen länger öffnen
Teleshopping war noch nicht erfunden und im Internet bestellen auch nicht... Macht nix, meinten die historischen Münchner. Machen wir unsere Ladentüren einfach ganz lange auf! Auch an Sonn- und Feiertagen sollten die Geschäfte offenbleiben. Die Kirche hielt wenig davon. Autorin: Birgit Magiera
20. Juli
Dienstag, 20. Juli 2021
Autor(in): Birigt Magiera
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ladenschlussgesetz. Das ist so ein Wort aus der alten BRD, aus der Bonner Republik.
Ladenschlussgesetz - das war das Gehetze zum Supermarkt nach Arbeitsende auf dem Heimweg: Denn unerbittlich um 18 Uhr 30 schoben sich die Automatik-Glastüren zu und nicht mehr auf. Wer zu spät kam, den bestrafte der leere Kühlschrank. Am Wochenende dann gab‘s erst mal kein Ausschlafen und Frühstücken bis in den Nachmittag, schließlich schlossen sich dieselben Glastüren am Samstag unwiderruflich um 12 Uhr mittags. Wer Glück hatte und einen wirklich großen Supermarkt in der Nähe, durfte sich vielleicht Zeit lassen bis 14 Uhr. Das waren dann fast schon amerikanische Shopping-Zustände.
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Ladenschlussgesetz - ein Wort, das im 20. Jahrhundert zuhause ist, könnte man meinen. Die Idee dahinter ist aber sehr viel älter. Und das Aufbegehren dagegen auch. Mindestens 300 Jahre älter: bereits am 20. Juli 1711 erließ die Stadtverwaltung von München eine neue Verordnung, die Öffnungszeiten der Geschäfte betreffend. Der Rat reagierte damit auf einen Antrag der Handelsleute und Krämer: die hatten um die Erlaubnis gebeten, auch an Sonn- und Feiertagen ihre Geschäfte öffnen zu dürfen.
Damals ein dreistes Ansinnen: der christliche Feiertag war zu heiligen! Sechs Tage sind zum Arbeiten da, zum Geld verdienen, am siebten Tage sollst du ruh‘n,- so sagt es die Heilige Schrift. Und wer selbst nicht nachlesen kann, im 18. Jahrhundert die allermeisten, dem sagt’s der Herr Pfarrer von der Kanzel herab: Ruhen sollst du am Sonntag und in die Kirche gehen. Gerade München als Hauptstadt des aller- katholischsten Kurfürstentums kann so ein sonntägliches Ruhegebot nicht einfach wegwischen, nur damit ein paar Taler mehr in den Kassen der Geschäftsleute klingeln: noch keine hundert Jahre stand zu dem Zeitpunkt die heilige Maria auf ihrer Säule mitten auf dem Platz, der damals noch Marktplatz war. Konnte man der Mutter Gottes wirklich ihre Sonntagsruhe nehmen?
Ruhen oder Shopping?
Andererseits 1711: Bayern stand seit Jahren im Krieg. Man wollte mal wieder bei den ganz Großen mitspielen: der Sohn des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel sollte König von Spanien werden, der Vater selbst sah sich schon als Kaiser. Am Ende saß der Kurfürst im Exil, statt auf dem Kaiserthron, der Sohn war tot und München litt unter feindlicher Besatzung. Der blutige Aufstand gegen die Habsburgischen Soldaten, die Sendlinger Mordweihnacht, war gerade erst niedergeschlagen. Die Zeiten waren karg, da hätte so ein kleiner Aufschwung dem städtischen Handel gutgetan. Die Bitte an den Rat der Stadt war deshalb laut und die Hohen Herrn entsprechend in Bedrängnis. Was tun? Die Geschäfte und Marktstände wirklich auch am Sonntag öffnen?
Wie heute prallten vermutlich auch damals beim Ladenschlussgesetz Befürworter und Gegner einer Lockerung aufeinander. Da saßen sie im alten Rathaus zusammen und stritten und diskutierten.
Am Ende einigten sich die Stadträte von München auf eine Ladenöffnungsvorschrift, die jedem Diplomaten noch heute Freudentränen in die Augen treibt: man entschied, dass weiterhin an Sonn- und Feiertagen die Läden geschlossen bleiben sollten, die Hintertür allerdings, die hatte man sich sprichwörtlich offen gehalten. Durchs Hintertürl durften auf der Rückseite der Geschäfte auch sonntags die Taler rollen, während vorneraus Maria auf ihrer Säule über die heilige Sonntagsruhe wachte.