Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Februar 1900 Lex Heinze verbietet „Unsittliches“ auf der Bühne

Mit der „Lex Heinze“ wurde in Deutschland im Jahr 1900 das Reichsstrafgesetzbuch geändert, um „unsittliche“ Handlungen in Theateraufführungen zu zensieren, Vorschriften gegen Pornografie zu verschärfen und den Straftatbestand der Zuhälterei einzuführen. Benannt war das Gesetz nach dem Berliner Zuhälter Hermann Heinze. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 06.02.2025

06.02.1900: Lex Heinze verbietet „Unsittliches“ auf der Bühne

06 Februar

Donnerstag, 06. Februar 2025

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Christian Baumann

Redaktion: Frank Halbach

Der Zuhälter und seine Nutte. Sie standen 1891 vor dem Berliner Schwurgericht: Hermann Heinze und seine wesentlich ältere Ehefrau, die für ihn anschaffen ging. Das Paar wurde verdächtigt, den pflichtbewussten Nachtwächter Braun erschlagen zu haben. Braun hatte die Heinzes wegen ihrer Art des Gelderwerbs schon länger auf dem Kieker. Oder hatte er den Zuhälter und die Prostituierte aktuell bei einem Einbruch ertappt? Der Fall wirkte verworren. Umso mehr faszinierte er Presse wie Publikum. Die zerrüttete Beziehung der Eheleute, ihre gegenseitigen Vorwürfe und Beschimpfungen, überhaupt der schonungslose Einblick in das Milieu der Halbwelt… Der reinste Kriminalroman.

Geldstrafe und Zuchthaus

Vor allen anderen aber zeigte sich der Kaiser, Wilhelm Zwo, über das Treiben in den Spelunken und Hinterhöfen seiner Reichshauptstadt erschüttert. Freilich nicht ob des Elends, das die Ärmsten der Armen, die Opfer der Industrialisierung, in die Gosse lenkte. Nein. Der asoziale Sumpf dieses „Miljöhs“, in dem so offenkundig das Verbrechen gedieh, musste trockengelegt werden. Ein Gesetz musste her, das allen Heinzes dieser Welt einen Strich durch die Rechnung machte, das jegliche Unsittlichkeit im Keim erstickte, nicht nur im zwischenmenschlichen Verkehr, sondern auch in Wort und Bild und Vorstellung. Aber wie sollte das gehen? Mehrere Jahre lang schraubten die Herren Abgeordneten im Reichstag eher lustlos an verschiedenen Entwürfen herum. Wobei insbesondere liberale und sozialdemokratische Kräfte bremsten und verschleppten. Als die sogenannte Lex Heinze am 06. Februar 1900 dann endlich verabschiedet wurde, brach unter den deutschen Kulturschaffenden eine Protestwelle los. Dass Zuhälterei ab jetzt strafbar sei, ließ sich noch hinnehmen.

Aber die Erweiterung des §184 um einen „Schaufenster-Paragraphen“ und einen „Theaterparagraphen“ öffnete willkürlichen Schikanen die Tür. Es sollten ja nicht nur diejenigen empfindlich bestraft werden, die unzüchtige Texte oder Bilder schufen, sondern auch die, die sie vervielfältigten, ausstellten oder bewarben. Schlimmer noch: was genau das zimperliche Schamgefühl zu verletzen drohte, blieb schwammig.

Klar schien vielmehr: Verklemmte Gottesmänner und bigotte Konservative wollten die moderne Kunst nach ihren Regeln formen! Doch die antiken Statuen durften weiterhin nackt in den Museen herumstehen! Immerhin: der massive Widerstand erreichte, dass die Lex Heinze etwas abgemildert wurde. Was Polizei und radikale Störer allerdings nicht daran hinderte, auch geschützte geschlossene Veranstaltungen wegen ihrer angeblich „fragwürdigen“ Inhalte zu stürmen. 

Der Pfad der Tugend

Aber zurück zu Herrn und Frau Heinze, den bedauerlichen Verursachern des Gesetzes. Sie soll nach zehnjähriger Haft tatsächlich auf den Pfad der Tugend gefunden haben. Er dagegen beteuerte bis zuletzt seine Unschuld am Tod des Nachtwächters. Trotzdem saß Heinze 15 Jahre im Gefängnis ab. Wegen seiner guten Führung wurde ihm gestattet, einen anderen Nachnamen anzunehmen. Die berühmt-berüchtigte Lex Heinze trat erst 1973 in der BRD durch die Sexualstrafrechtsreform außer Kraft. Doch der vergleichbare Tatbestand, die „Verbreitung pornographischer Schriften“, kann bis heute die Gemüter heftig erregen.


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