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18. November 1939 Jazzklarinettist Artie Shaw verlässt die Bühne und fährt nach Acapulco baden

Artie Shaw ist einer der Großen, der Berühmten, und einer, dem es irgendwann reicht mit all den Fans und all der Publicity. Also verlässt der Jazzklarinettist mal eben die Bühne und fährt zum Baden. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 18.11.2019 | Archiv

18.11.1939: Jazzklarinettist Artie Shaw verlässt die Bühne und fährt nach Acapulco baden

18 November

Montag, 18. November 2019

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Das Leben hätte so schön sein können. Wenn die Leute nicht so verrückt nach ihm gewesen wären. Artie Shaw war ungeheuer erfolgreich, und genau das war sein großes Problem. Shaw gehörte zu den besten Klarinettisten des amerikanischen Swing, die Musik war sein Leben, Jahre lang hatte er an seinem Stil gefeilt, und dann war er plötzlich ganz, ganz oben. Und hat gemerkt: sobald du berühmt bist, gehört dir dein Leben nicht mehr. Es kommen Fotografen, die Fotos wollen, Journalisten wollen Interviews, Autogrammsammler Autogramme. Bis vor kurzem konntest du kaum deine Musiker bezahlen, jetzt trägst du Tausende von Dollars zur Bank. Das muss man erst einmal verkraften. Plötzlich ist man umgeben von Agenten, Rechtsanwälten, Musikverlegern, PR-Leuten und Bänkern. Und die Musik, - wegen der man eigentlich im Big Band Business ist, - tritt völlig in den Hintergrund. Der berühmte Klarinettist Artie Shaw sah sich als Opfer einer Riesenkatastrophe namens Erfolg.

Es reicht!

Und dann war da auch noch das Publikum. Wenn er spielte, tanzten die Leute auf den Tischen. Immer wieder wollten sie "Begin the Beguine" hören, und jedes Mal, wenn seine Band damit anfing, kletterten dreißig oder vierzig Burschen auf die Bühne, und die Sicherheitsleute mussten sie wieder runterbefördern. Einmal war einer vom Balkon gesprungen und hatte sich ein Bein gebrochen. Es war ein Tollhaus.

Dann, im Frühjahr 1939, ist es soweit. Auf offener Bühne, vor über achttausend Menschen, bricht Artie Shaw zusammen. Im Krankenhaus diagnostiziert man Agranulozytose, eine lebensgefährliche Verminderung der Blutzellen. Shaw überlebt nur, weil man ihm sofort das Blut austauscht.

Sechs Wochen lang liegt er im Krankenhaus und denkt nach. Der Entschluss, den er fasst ist, ist eindeutig. Er muss so bald wie möglich aufhören. Doch das zieht sich hin. Shaw hat Verträge zu erfüllen, Rechnungen zu begleichen, die Band braucht ihren Frontmann.

Es reicht wirklich!

Und dann kommt der 18. November 1939. Als er auf die Bühne geht, weiß Shaw: eine Kleinigkeit nur, dann ist das Maß voll. Und als dann unten auf der Tanzfläche ein Kerl bei seiner Partnerin großtun will, indem er über Shaw lauthals blöde Witze reißt, da nimmt Artie Shaw seine Klarinette und verlässt mitten im Auftritt die Bühne. Er ruft seinen Anwalt an und teilt ihm mit, die Band könne sich ab sofort einen anderen suchen. Dann setzt er sich ins Auto und fährt los. Als er anhält, ist er in Mexiko.

Acapulco ist damals noch ein kleines Fischerdorf. Artie Shaw schwimmt im Meer und geht fischen. Er liegt in der Sonne und liest Bücher. Er tut nur das, wozu er wirklich Lust hat. Was für eine Wohltat.

Natürlich hat Artie Shaw wieder angefangen, Musik zu machen. Er hat noch ein paar Mal alles hingeschmissen - und danach aufs Neue angefangen. Sein letzter und endgültiger Abgang war im August 1954. In der zweiten Hälfte seines Lebens hat sich Artie Shaw dann nur noch so Dingen wie dem Schreiben von Kurzgeschichten, der Rinderzucht und der Fabrikation von Schusswaffen gewidmet. Und als man ihn später einmal gefragt hat, wie er es als weltbekannter Klarinettist eigentlich geschafft habe, völlig ohne Musik zu leben, da meinte Shaw: "Wir sind zu sechst gewesen. Sechs Bandleader, die die Zeit des Swing geprägt haben. Die anderen sind alle tot. Irgendetwas muss ich richtiggemacht haben."


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