24. Januar 1975 Jazz-Diva Keith Jarret lässt Konzert platzen, fast
Einen der ganz Großen des Jazz will die Schülerin Vera Brandes für ein Konzert gewinnen. Einen Veranstaltungsort hat sie, über tausend Eintrittskarten sind schnell verkauft. Doch dann passt dem Star, Keith Jarrett, das alte Klavier dort nicht. Er sagt in letzter Minute ab – fast. Autor: Simon Demmelhuber
24. Januar
Mittwoch, 24. Januar 2024
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Erst ein paar Töne nur. Brüchige Klänge lauschen ins Leere. Ein Echo ruft. Akkorde finden zusammen, Rhythmen härten aus und zerfallen. Eine Reise beginnt, ein Aufbruch ins Ungewisse, ein Tanz am Abgrund, dem Stürzen, dem Scheitern so nah. Doch am Ende triumphieren Jubel, Rausch und Überschwang. Am Schluss ist alles Gewagte gelungen und alles Dunkle ins Helle gerettet.
Ganz klar: Keith Jarrett. The Köln Concert! Das erfolgreichste, bestverkaufte Soloalbum der Jazzgeschichte! Von mittlerweile zwei Generationen an Kinder und Enkel weitergereicht. Gefeiert, geliebt, aufgefahren in den Klavierolymp, längst und zurecht unsterblich geworden.
Ziemlich erhaben
Dabei hätte das Ohrenwunder ums Haar gar nicht stattgefunden. Zumindest sieht es am 24. Januar 1975 lange Zeit genau danach aus. Ob Jarrett an diesem Abend spielt, ob das frei improvisierte Konzert überhaupt aufgezeichnet wird, all das hängt bis kurz vor Einlass am seidenen Faden. Und fast bis ganz zuletzt weiß Vera Brandes nicht, wie sie den drohenden Ausfall abwenden soll.
Gerade 18 Jahre ist die Schülerin alt. Aber sie hat schon ein paar Jazzkonzerte organisiert. Und nun hat Vera Brandes einen wirklich dicken Fisch am Haken. Keith Jarrett ist auf Europatournee. Über fünf Ecken kennt sie seinen Manager, den Musikproduzenten Manfred Eicher. Und irgendwie schafft sie zwei Kunststücke auf einmal: Sie holt Jarrett nach Köln und bequatscht die Oper, das Konzert zu beherbergen.
Nahezu ausgefallen
Aber irgendwie ist der Wurm drin. Jarrett kommt erst am späten Nachmittag in Köln an und hat miese Laune. Gerädert von der stundenlangen Anfahrt aus der Schweiz in Eichers klapprigem R4, hungrig, übernächtigt und dann auch noch das! Dann auch noch diese Zumutung! Ein großer Bösendorfer 290 Imperial war bestellt und vereinbart! Und was haben sie ihm hingestellt? Irgendein hinterletztes, zerschrammtes Einsingpiano, einen versifften, komplett verstimmten, total räudigen Müllhaufen mit hängenden Tasten, klemmenden Pedalen und fehlenden Saiten!
Jarrett schmollt, Eicher tobt: "Schafft ein vernünftiges Instrument her oder blast das Ganze ab." Aber absagen, wie denn? 1400 Karten sind weg, die Oper ist ausverkauft! Und ein besseres Piano treibt Vera Brandes jetzt am Freitagnachmittag nirgendwo auf.
Während die Hoffnung auf einen Ersatzflügel bröselt, nimmt sich ein Klavierstimmer die ramponierte Krücke vor und macht sie tatsächlich spielbar. Doch Jarrett ist inzwischen so angefressen, dass er seinen Krempel packt und wortlos verschwindet. Zum Glück steht Vera Brandes da gerade am Fenster. Sie sieht, wie er im Hof in ein Auto steigt, sieht, wie das Auto an einer Schranke hält, rast los, hastet die Treppe hinab, wirft sich dem Wagen in den Weg, reißt die Beifahrertür auf, brüllt: "Keith, wenn du heute nicht spielst, sind wir echt beide im Arsch!"
Jarrett stutzt, glotzt, grinst, nickt: "Ok. Ich spiele. Doch denk dran, nur wegen dir." Der Rest ist Legende. Und solange sich noch ein Plattenteller dreht, wird uns das Köln Concert die alte Geschichte vom Suchen und Finden des Glücks immer wieder neu erzählen.