Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. April 1927 Mae West wegen moralischer Gefährdung der Jugend verurteilt

Sie galt als Inbegriff der Femme fatale und brach etliche Tabus: Mae West. Schon in den 1920er Jahren verfasste sie umstrittene Broadway-Bühnenstücke. Eines davon: "Sex". Dafür wurde sie wegen "Obszönität auf der Bühne" zu einer Haftstrafe verurteilt und ihr gelang damit der Durchbruch zu ihrer Karriere. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 19.04.2022 | Archiv

19 April

Dienstag, 19. April 2022

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

"Ich glaube an Zensur. Ich habe ein Vermögen damit gemacht!", soll Mae West gesagt haben. Vor ihrem Hollywoodruhm als schnippische platinblonde Sexbombe tingelte sie zwei Jahrzehnte lang als Varietésängerin durchs Land, mit mäßigem Erfolg. In einem Karrieretief beschloss sie, den Broadway zu erobern. 

Schicke Schockshow

Mangels geeigneter Angebote schrieb sie sich selbst ein Stück auf den Leib, und weil sich kein Produzent dafür interessierte, brachte sie es auch selbst auf die Bühne. Das Budget reichte nur für ein Seitenstraßentheater und eine Truppe von Nobodies. Mae West spielte eine Prostituierte und gab dem Werk den Titel "Sex".

Bei der Premiere im April 1926 waren die Theaterkritiker einmütig schockiert: Vulgär! Amateurhaft! Miese Rotlicht-Show! Auch die Zuschauer waren zunächst schreckstarr, aber bald wanden sich die Schlangen vor dem Ticketschalter um den Block. Es war schick, zwei- oder dreimal hinzugehen. "Sex" war das Kultstück der Saison.

Der Hype erzürnte die einflussreichen Sittenwächter von der "Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters" und befeuerte Forderungen nach einer staatlichen Theaterzensur. Dennoch lief das Stück unbehelligt neuneinhalb Monate lang, ehe die Polizei das Theater stürmte und Mae West mit dem kompletten Ensemble verhaftete. Sie wurden wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und moralischer Gefährdung der Jugend angeklagt. "Ich denke, das bringt mich ganz groß raus", verkündete  Mae West einem Reporter.

Guter Deal mit der moralischsten Stadt des Universums

Es war fabelhafte Reklame. Fotos von Mae West prangten auf den Titelseiten. Beim Prozess war der Gerichtssaal brechend voll. Die Anklage konnte keine verdammenswerten Textstellen vorzeigen und erklärte, das Obszöne an dem Stück sei Mae West. "Miss West bewegte ihren Nabel auf und ab und von rechts nach links", sagte im Zeugenstand ein Polizeibeamter, der die Vorstellung in dienstlichem Auftrag besucht hatte. Er musste zugeben, dass sie stets bekleidet und ihr Nabel nicht zu sehen war, insistierte jedoch:
"Etwas in ihrer Mitte bewegte sich von Ost nach West." Die Zuschauer amüsierten sich prächtig.

Die Jury befand die ganze Truppe für schuldig. Der Richter war erfreut: New York sei die moralischste Stadt im Universum, und dieses Urteil zeige das dem ganzen Land.
Am 19. April 1927 verkündete er die Strafen: Die Schauspieler kamen mit Bewährung davon, Mae West musste fünfhundert Dollar zahlen und für zehn Tage ins Zuchthaus gehen. "Wenn ich bedenke, was ich mit ‚Sex‘ verdient habe", bemerkte sie, "ist das kein schlechter Deal."

Während sie im Knast saß, brachte die Presse tägliche Bulletins über ihr Befinden. Bei der Entlassung posierte sie strahlend mit den Wärterinnen und stiftete tausend Dollar für eine Gefängnisbücherei.

Der Wellenschlag des Skandals um "Sex" und ein weiterer Broadway-Hit, den sie für sich selbst schrieb, brachten Mae West nach Hollywood. Dort allerdings scheiterte der Superstar schließlich an der Zensur: die strenge Selbstkontrolle der Studios schrubbte die schlüpfrig-doppeldeutigen Dialoge und das kalkuliert Vulgäre von ihren Rollen, bis ihre Filme an der Kasse floppten.


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