30. Dezember 1835 Maria Malibran ist indisponiert
Sie stand von Anfang an unter einem unguten Stern, Donizettis "Maria Stuarda“, bis schließlich bei der Premiere die Primadonna assoluta, Maria Malibran, indisponiert die Bühne betrat. Abgesehen von Malibrans schlechter stimmlicher Verfassung, gab es weitere Probleme, weil sie einfach nicht den originalen Text sang. Autor: Markus Vanhoefer
30. Dezember
Freitag, 30. Dezember 2022
Autor(in): Markus Vanhoefer
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die Oper ist ein unkalkulierbares Geschäft. Man nehme ein bekanntes Theaterstück von Friedrich Schiller, überlasse dies einem Komponisten, dessen Arien die Spatzen in ganz Europa von den Dächern pfeifen, und garniere das Resultat mit der größten Diva der Zeit. Was nach einem hundertprozentigen Erfolgsrezept für einen Bühnen-Hit klingt, muss im Rampenlicht noch lange nicht funktionieren. Gaetano Donizettis "Maria Stuarda" ist ein Beispiel dafür.
Eine künstlerische Hinrichtung
Warum floppt, was bei der Qualität der Beteiligten eigentlich hätte großartig werden müssen? Im Fall "Maria Stuarda" schien der Fall sofort klar: Die Premiere der Oper am 30. Dezember 1835 in der Mailänder Scala entpuppte sich als Desaster. "Schmerzhaft vom Anfang bis zum Ende", schrieb ein von der Sängerleistung gepeinigter Donizetti. Die Schuldige für die "künstlerische Hinrichtung" der schottischen Königin war sofort ausgemacht: Die Malibran.
Von Superstars erwarten wir Sternstunden - und Maria Malibran, die die Rolle der Maria Stuart übernommen hatte, war nicht irgendwer. "Schönheit, Genie und Liebe waren die Namen dieser Frau", wird später auf dem Grabstein der jung verstorbenen stehen. Zu Recht, denn die Tochter eines spanischen Tenors hatte alles, was es zur Diva mit Kultstatus braucht: ein blendendes Aussehen, gesangtechnische Brillanz und eine charismatische Bühnenpräsenz. Die Opernwelt lag der Malibran zu Füßen.
Normalerweise. An jenem fatalen Premieren-Tag war die Sängerin jedoch nur ein Schatten ihrer selbst. Aber genügt eine indisponierte Hauptdarstellerin, um eine Oper so komplett zum Scheitern zu verurteilen?
Pleiten, Pech und Pannen
Auch wenn man im Nachhinein immer schlauer ist, das Mailänder Maria-Stuarda- Fiasko kam nicht aus heiterem Himmel. Donizettis Werk war von Anfang an eine Verknüpfung von Pleiten, Pech und Pannen.
Die Probleme begannen im Schatten des Vesuv, denn ursprünglich hatte der italienische Komponist seine musikalische Schiller-Adaption fürs Opernhaus von Neapel geschrieben. Dort wurde das Werk sogar eifrig einstudiert und stand kurz vor der Uraufführung, dann kam es während der Generalprobe zum Eklat. In einer konfliktreichen Schlüsselszene gerieten sich die beiden Sängerinnen, die Maria Stuart und deren Halbschwester, die englische Königin Elisabeth I, verkörperten, wirklich in die Haare. Aus der skandalösen Rauferei wurde ein Politikum, als die Zensur den Text der betreffenden Szene unter die Lupe nahm und dabei Worte wie "Hure" oder "Bastard" entdeckte. Der neapolitanische König war schockiert – immerhin war seine Gattin ein Nachfahre der tragischen Titelheldin - und ließ die Oper kurzerhand verbieten.
Donizetti war jedoch nicht bereit, sich dem zu fügen. Er entschärfte das Libretto und schrieb sein Werk um, die Malibran wurde engagiert. Groß waren die Erwartungen, als sich der Vorhang am 30. Dezember 1835 in der Mailänder Scala hob, umso größer das Entsetzen, als eine völlig indisponierte Maria Stuarda die Bühne betrat, die zudem spontan auf den zensierten Text zurückgriff.
Und so geschah es, dass Donizettis Meisterwerk für 123 Jahre in der Versenkung verschwand, um erst 1971 im Theater von Bergamo wiederbelebt zu werden.