13. März 1988 Meerestunnel verbindet Japans Inseln
Eine technische Verbindung ist noch lange keine kulturelle Brücke. Oder Tunnel. Der Seikan-Tunnel beispielsweise verbindet zwar Japans Inseln in Rekordzeit, doch wohl noch lange nicht Japans Völker. Autorin: Isabella Arcucci
13. März
Freitag, 13. März 2020
Autor(in): Isabella Arcucci
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Wer das sprichwörtliche "Licht am Ende des Tunnels" sieht, dem winkt Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Solch einer "besseren Zukunft" fuhren angeblich auch die Passagiere des Zuges entgegen, welcher 1988 erstmals den neu eröffneten Seikan-Tunne durchquerte, der von nun an Japans Hauptinsel Honshû mit der nördlichen Insel Hokkaidô verbinden sollte.
Platzangst unter Wasser
Das eifrige Grinsen des Fernseh-Moderators, welcher die Jungfernfahrt durch den Tunnel begleitete, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich manch ein Passagier sichtlich beklommen fühlte. 23,3 Kilometer verläuft der Seikan-Tunnel unter dem Meeresgrund, in einer Tiefe von 240 Metern unter dem Meeresspiegel! Da kann einen schon mal die Platzangst packen. Ein verdächtig nach Zug-Nerd aussehender Passagier, dem der Fernsehmoderator das Mikro vor die Nase hielt, kämpfte hinter seinen dicken Brillengläsern gar mit den Tränen. Allerdings nicht vor Panik, sondern vor Rührung über diesen historischen Augenblick: die Verbindung der beiden japanischen Inseln Honshû und Hokkaidô! Eine Verbindung, deren Geschichte bisher kaum Anlass zu Freudentränen gab. Im Jahr 1869 hatte das Kaiserreich Japan die Insel Hokkaidô annektiert. Für das dort lebende Volk der Ainu begann eine Zeit großen Leids. Die Ainu gelten heute als eines der Ureinwohnervölker Japans, mit einer ganz eigenen Sprache und Kultur, das Jahrtausende lang von Fischfang und Jagd lebte, im Einklang mit der herrlichen Natur ihrer Heimat Hokkaidô. Doch dieses Paradies, mit seiner malerischen Bergwildnis, seinen weiten Blumenteppichen, seinen Vulkanen und rauen Felsküsten sollte ihnen nun geraubt werden.
Vom Verlust einer Kultur
Die Japaner verboten den Ainu, ihre eigene Sprache zu sprechen, nahmen ihnen ihr Land und holzten gnadenlos die dichten Wälder ab, in denen Bären, Füchse und Eulen hausten - die Schutzgeister der Ainu. Stattdessen hielt der technische Fortschritt Einzug. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand er in der Fertigstellung des Seikan-Tunnels, am 13. März 1988. Mit einer Gesamtlänge von 53,85 km der damals längste Tunnel der Welt, heute, nach dem Schweizer Gotthard-Tunnel, der zweitlängste. Ein Durchbruch! Nur die Ainu sahen lange kein Licht am Ende des Tunnels. Erst im Jahr 2008 verlieh ihnen die japanische Regierung endlich den Status eines "indigenen Volkes mit eigener Sprache, Religion und Kultur. " Doch die meisten Ainu haben diese Kultur längst verloren. Und viele fühlen sich bis heute diskriminiert und verschweigen lieber ihre Herkunft.
Inzwischen fährt einer der Shinkansen-Schnellzüge durch den Seikan-Tunnel und verbindet so in Hochgeschwindigkeit die Hauptinsel Honshû mit der Ainu-Heimat Hokkaidô. Doch bis, statt der bloßen technischen Verbindung, auch eine menschlich-kulturelle Verbindung entsteht, wird es wohl noch lange dauern….