23. April 1946 Piaggio lässt die Vespa patentieren
Einfach, sparsam und leicht fahrbar und ein Stück Bella Italia: die Vespa, Piaggios legendärer Motorroller, entworfen von Corradino d'Ascanio.
23. April
Freitag, 23. April 2021
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
È finita la guerra! Der Krieg ist vorbei, doch Italien leidet. Ganze Landstriche, Städte und Fabriken sind zerstört. Besonders arg hat es den Flugzeugbauer Piaggio erwischt. Das Werk bei Pisa ist ausgebombt und Rüstungsgüter darf Mussolinis Luftwaffenschmiede nicht mehr herstellen. Aber was dann? Was kann Piaggio fertigen? Was braucht Italien jetzt am meisten?
Wespenlook
Aber klar! Fahrzeuge fehlen. Vor allem erschwingliche Alltagsvehikel für alle, die sich kein Auto leisten können. Ja, vielleicht ist das die Lösung: ein leichter, sparsamer Motorroller, den jeder fahren und jeder kaufen kann. Einen Versuch ist es wert! Planen und entwickeln soll den Hoffnungsträger Corradino d'Ascanio. Dass sich der ingeniere bestens mit Hubschraubern auskennt, aber von Zweirädern keine Ahnung hat, erweist sich als Glücksfall. D'Ascanio pfeift auf gängige Vorstellungen und entwirft etwas völlig Neues: Ein leichtes, wendiges Motorrad, das erstmals auch Frauen anspricht. Und das bedeutet: kein aggressives Testosterongehabe, keine offene, ölige Technik, keine Speichen und schmierigen Ketten, kurz: nichts, was Kleider versaut und Röcke oder Mäntel frisst.
Bald ist der Prototyp fertig. D'Ascanios großer Wurf hat ein Brustschild, das Regen, Wind und Schmutz abhält, statt des Sattels eine weich gepolsterte Sitzbank, dazu einen rock- und schürzenfreundlichen Durchstieg mit viel Platz für Knie, Beine und Bambini. Auf dem breiten Trittbrett vor dem Lenker lassen sich Einkaufstaschen, Kartoffelsäcke oder Picknickkörbe stapeln, obendrein ist alles, was sich dreht und dreckt unter einer knuddelrunden, glanzlackierten Vollverkleidung versteckt.
"Sembra una vespa", schaut aus wie eine Wespe, findet der Firmenchef, und damit hat das Ding seinen Namen weg.
Komm ein bisschen mit nach Italien
Am 23. April 1946 beantragt Piaggio den Markenschutz, kurz darauf beginnt die Produktion. Der Absatz übertrifft vom Fleck weg alle Erwartungen. Das liegt zum einen am Design. Die Vespa ist elegant, ein bisschen frech und überaus praktisch. Keine Gasse ist ihr zu eng, kein Parkplatz zu klein, keine Last zu sperrig. Außerdem ist Enrico Piaggio ein Werbegenie. Er pflastert das Land mit Plakaten und Anzeigen, mit Wunsch- und Sehnsuchtsbildern, die nur eine Botschaft beschwören: Bella Italia. Schöne Menschen, schöne Gegend, schönes Leben.
Spaß haben, jung und verliebt sein, schwerelos durch einen randlosen Sommer unter Pinien gleiten - nichts drückt das Vespaversprechen mehr aus als "Roman Holiday". Die Filmromanze, in der Audrey Hepburn mit Gregory Peck 1953 ferienselig ums Kolosseum kurvt, macht den Roller weltberühmt. Alle wollen jetzt Vespa fahren und sich auf einen Sprung nach Süden träumen. Als drei Jahre später bereits eine Million Scooter verkauft sind, versammeln sich tausende vespisti vor dem Petersdom. Der Heilige Vater spendet dem Corso seinen Segen, und offenkundig wirkt die päpstliche Weihe bis heute. Die Vespa rollt und rollt und noch immer lockt ihr alter Zauber: "Komm ein bisschen mit nach Italien, komm ein bisschen mit ans blaue Meer, und wir tun, als ob das Leben eine schöne Reise wär!