9. August 1803 Robert Fulton präsentiert Napoleon ein Dampfschiff
Auch große Strategen scheitern bisweilen kläglich bei der Einordung technischer Innovationen. Mit dem Rauch von Kanonen kannte Napoleon sich aus, mit dem Dampf von Schiffen offenbar nicht. Fultons Nautilus besaß einen Handkurbelantrieb, Ruder zur Seiten- und Tiefensteuerung sowie ein Druckluftsystem zur Versorgung der dreiköpfigen Besatzung mit Atemluft, war Napoleon aber zu langsam. Autor: Thomas Grasberger
09. August
Mittwoch, 09. August 2023
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Frank Halbach
Wenn Geist auf Macht trifft, dann funkt es gelegentlich. Allerdings muss das nicht unbedingt jener Funke der Innovation sein, der auch das wärmende Feuer des Fortschritts entfacht. Manchmal entsteht nur ein Strohfeuer, aus dem allenfalls ein wenig beißender Rauch aufsteigt. Diese bittere Erfahrung musste ein US-amerikanischer Ingenieur zu Beginn des
19. Jahrhunderts machen. Robert Fulton aus Pennsylvania war ein großer Erfinder, der sich besonders für Wasserfahrzeuge interessierte. Fulton entwickelte zum Beispiel ein 22 Meter langes, dampfbetriebenes Schiff! Erste Testfahrten unternahm er damit 1803 auf der Seine in Paris. Und prompt interessierte sich die große Politik dafür.
Ein Held des Dampfes
Der Legende zufolge kam es am 9. August 1803 zu einer Begegnung zwischen dem Geist - in Gestalt des Robert Fulton - und der Macht - in Person eines gewissen Napoleon Bonaparte. Der Korse war zu jener Zeit erster Konsul der Französischen Republik. Als solcher gewährte er dem amerikanischen Erfinder eine Audienz im Tuilerienpalast. Robert Fulton erklärte dem Konsul wortreich seine Dampf-Ideen. Napoleon aber schaute bald nur gelangweilt aus dem Fenster und antwortete schließlich achselzuckend: "Au vicetre!" - "Ab ins Irrenhaus!"
Offenbar hatte sich dem Politiker die bahnbrechende Idee nicht so recht erschlossen. Er hielt sie schlechterdings für irrsinnig. So zumindest steht es sieben Jahrzehnte später in einer Zeitschrift, die den klangvollen Namen "Schacht und Hütte" trägt. In diesen "Blättern zur Unterhaltung und Belehrung für Berg-, Hütten- und Maschinenarbeiter" wurde das legendäre Treffen Napoleons mit Fulton nachgezeichnet, unter der Rubrik "Helden des Dampfes". Womit zweifelsohne Robert Fulton gemeint war.
Redakteur von "Schacht und Hütte" war damals übrigens ein vorbestrafter Sachse namens Karl May. Der fantasiebegabte Schriftsteller sollte einige Jahre später diese Geschichte von Macht und Geist erneut aufgreifen, um sie in seiner Erzählung "Der Kaperkapitän" zu verarbeiten. Wenn wir Karl May glauben dürfen, dann hatte Napoleon damals den feinen Unterschied zwischen Rauch und Dampf nicht recht verstanden. May lässt den Weltgeist zu Pferde nämlich Folgendes sagen: "Dampf oder Rauch, das bleibt sich gleich! Wie kann dem Rauche einer Cigarre die Kraft inne wohnen, ein Schiff zu treiben? C'est drôle - es ist lächerlich!"
Ins Exil gesegelt
Nun, Robert Fulton zog frustriert von dannen und sollte später andernorts, nämlich in den USA, seine Dampfschiffpläne verwirklichen. Er starb 1815 in New York. Im selben Jahr also, in dem Napoleon Bonaparte endgültig besiegt und in die Verbannung nach St. Helena geschickt wurde. Übrigens auf einem Segelschiff!
Dennoch dürfte die technische Revolution am Franzosenkaiser nicht unbemerkt vorübergefahren sein. Napoleon soll bei der Überquerung des Ärmelkanals erstmals Dampfschiffe gesehen und am Ende seinen historischen Fehler erkannt haben. Karl May jedenfalls lässt den abgesetzten Regenten bedeutungsschwanger sagen: "Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggegeben!"