16. Januar 1952 Sascha Jacobsens Stradivari wird überschwemmt
Einmal eine Stradivari spielen, noch nicht mal besitzen, nur spielen. Oder wenigstens anfassen. Für viele ein Traum. Für Sascha Jacobsen wird eine Stradivari kurzzeitig zum Albtraum: Er macht sie kaputt. Autor: Xaver Frühbeis
16. Januar
Donnerstag, 16. Januar 2020
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Christian Baumann
Stradivaris - heißen immer. Oft tragen die Instrumente des großen Geigenbaumeisters aus Cremona sogar sehr hübsche Namen. "Golden Bell". "Princess Aurora". "Conte del Fontana". Eine der schönsten Stradivari-Geigen ist die "Red Diamond", der "Rote Diamant". Die so heißt wegen der rotbraunen Farbe ihres Lacks.
Der erste bekannte Besitzer der "Red Diamond" war Luigi Tarisio. Den sie den "Geigenjäger" genannt haben, weil er immer hinter historischen Instrumenten her war, die er dann in London und Paris für viel Geld an den Mann gebracht hat. In Paris finden wir die "Red Diamond" bei dem Geigenbauer Jean Baptist Vuillaume, einem begabten Mann, der Stradivari-Instrumente studiert und nachgemacht hat. Danach ist die "Red Diamond" über Umwege in die USA geraten, wo sie in den späten dreißiger Jahren das Museum of Fine Arts in Boston erworben und an ausgewählte Geiger verliehen hat. Und von denen hat sie dann einer kaputtgemacht.
Der Untergang
Sascha Jacobsen war Konzertmeister der Philharmoniker von Los Angeles. Russe von Geburt, als Kind mit den Eltern in die USA emigriert, Absolvent der berühmten Juilliard School. Ein Konzertmeister ist der oberste Geiger eines Orchesters und der Chef des Ganzen gleich nach dem Dirigenten. Ihm müssen im Orchester alle folgen, und eigentlich sollte man meinen, dass so ein Musiker diszipliniert und erfahren genug wäre, auf sein teures Instrument aufzupassen. Aber manchmal will das Schicksal es anders.
Am 16. Januar 1952 fährt Sascha Jacobsen die Küstenstraße bei Santa Monica entlang. Im Auto, neben ihm, die Stradivari. Draußen regnet es und stürmt wie schon lange nicht mehr. Mit einem Mal geht es nicht mehr weiter. Ein Fluss ist über die Ufer getreten und hat die Straße überschwemmt. Das Wasser steigt schnell, Jacobsen klettert aus dem Auto, schnappt sich den Kasten mit der Stradivari und versucht, hangaufwärts trockenen Boden zu erreichen. Und dabei reißt ihm das Wasser den Kasten aus der Hand. Hilflos muss Jacobsen zuschauen, wie seine wertvolle Stradivari ins offene Meer hinausgetrieben wird.
Angespühlt und aufgefrischt
Am nächsten Tag - der Regen hat aufgehört - geht ein Rechtsanwalt aus Los Angeles am Strand spazieren. Und sieht zwischen Felsen ein großes dunkles Ding stecken. Es ist ein Geigenkasten. Darin: eine von Dreck und Salzwasser ziemlich mitgenommene Geige. Der Anwalt nimmt die Geige mit nach Haus, und weil er mit dem musikalischen Direktor der Philharmoniker befreundet ist, erfährt er gleich, was er da gefunden hat. Der Besitzer ist ebenfalls heilfroh und weiß auch gleich, was er zu tun hat. Jacobsen gibt das Instrument in die Hände von Hans Weisshaar, einem gebürtigen Deutschen, "Legende" auf dem Gebiet der Wiederherstellung von ramponierten Geigen. Neun Monate arbeitet Weisshaar, danach ist die "Red Diamond" wieder spielbar und schöner als je zuvor.
Heute - ist sie verschwunden. Irgendein anonymer Sammler hat sie gekauft. Geiger, die die "Red Diamond" gespielt haben, haben bestätigt, wie unglaublich schön sie klingt und sich gewundert, daß das Bad im Meerwasser ihr nichts anhaben konnte. Jacobsen selber war sogar der Meinung gewesen, sie würde noch wesentlich besser klingen als vor dem Tauchgang. Fast möchte man meinen, Stradivari-Geigen würden unter der Einwirkung von Salzwasser und Dreck an Qualität gewinnen. Es gibt doch immer wieder Grund, sich zu wundern. Über den Meister aus Cremona.