28. November 2000 Sensation im Pechtropfenexperiment
Das "Pechtropfenexperiment" ist das langweiligste Experiment überhaupt: 1927 begann Thomas Parnell darauf zu warten, dass hartes Pech zu tropfen beginnt. Am 28. November 2000 fiel der achte Tropfen. Autor: Markus Mähner
28. November
Mittwoch, 28. November 2018
Autor(in): Markus Mähner
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Gut Ding will Weile haben! Das dachte sich im Jahr 1927 Thomas Parnell, seines Zeichens Leiter des physikalischen Instituts an der Universität Brisbane, Australien. Er begann mit einem Versuch, der in die Geschichte eingehen sollte: als das langweiligste wissenschaftliche Experiment aller Zeiten!
Nur zwei Tropfen erlebt
Es geht um das sogenannte Pechtropfenexperiment. Parnell gehörte zu den raren Menschen, die sich auch über Pech freuen konnten, und er wollte eines beweisen: Pech, diese teerartige Substanz, ist flüssig - und das sogar bei Zimmertemperatur. Zwar nicht ganz so flüssig wie Wasser, Butter oder etwa Marmelade - nein, ein wenig zähflüssiger schon. Genauer gesagt: ungefähr einhundert millionenfach zähflüssiger als Wasser! Um das zu beweisen, brauchte Parnell zweierlei:
Erstens: eine einfache Versuchsanordnung: Das heißt, schlicht einen Trichter, in den er erhitztes Pech fließen ließ. Das konnte dann durch eine kleine Öffnung unten in ein darunter stehendes Gefäß tropfen. Zweitens brauchte er Zeit und Geduld. Um nicht zu sagen: Viel Zeit und noch mehr Geduld. Denn bis er das Loch des Trichters öffnen konnte, musste das Pech erst mal wieder so hart werden wie bei Zimmertemperatur. Das dauerte schon mal drei Jahre.
Doch 1930 war es soweit: Parnell öffnete den Trichter und: - Nichts geschah! Zumindest nichts, was das bloße Auge erkennen konnte. Denn es dauerte seine Zeit, bis der erste Tropfen sich tatsächlich bildete und fiel. Das geschah erst weitere acht Jahre später, im Dezember 1938. Parnell jubelte! Auch den zweiten Tropfen, der 1947 fiel - zwanzig Jahre nach Beginn des Experiments - sollte Parnell noch erleben. Danach starb er.
Anti-Nobelpreis und gerechter Erfolg
Doch sein Experiment lebte weiter, und es lebt sogar heute noch - mit ungemeinem Erfolg. Denn, was Parnell nicht ahnen konnte: Er wurde postum dafür sogar mit einem Nobelpreis ausgezeichnet! Zwar nicht mit dem in Stockholm verliehenen, sondern mit dem sogenannten Ig-Nobel-Prize, einer Art "Anti-Nobelpreis". Den vergibt die Harvard-Universität für besonders skurrile, unnütze - ja man möchte fast sagen: "überflüssige" Forschung. Und es kam sogar noch besser: Parnells Pechtropfen schafften es ins Guinness Buch der Rekorde für die langwierigste Versuchsanordnung. Ach ja, und die Webcam, die inzwischen in Brisbane installiert worden ist, verteidigt hartnäckig ihren Ruf als "langweiligste Webcam im Internet".
Doch trotz aller Medienpräsenz: Bisher ist es keinem Menschen gelungen, auch nur einen einzigen Tropfen beim Fallen zu beobachten. Beim letzten Tropfen, der am 28. November 2000 fiel, dem achten, versagte die Webcam! Unfassbar! Was für ein Pech!
Doch die Welt blickt wieder nach Brisbane, Australien: Denn der Fall des nächsten Tropfens steht kurz bevor. Er könnte morgen - oder auch in zwei, drei Jahren - fallen! Aber Vorsicht ist geboten: Seitdem in den neunziger Jahren eine Klimaanlage am Institut installiert wurde, verhält sich das Experiment unvorhersehbar: Denn nun ist es im Winter wärmer als im Sommer! Skandal! Das ganze Experiment ist verfälscht! Also, was nun? Alles nochmal von vorne?
Wohl nicht, denn wer hat in unserer schnelllebigen Welt noch so viel Geduld wie der altehrwürdige Thomas Parnell, Professor a.d. und Anti-Nobelpreisträger?