7. Juni 1933 Uraufführung von "Die sieben Todsünden"
Die sieben Todsünden – wie die katholische Kirche sie kennt – in neuer Lesart, geschrieben von Bert Brecht, komponiert von Kurt Weill: beißende Satire und bittere Kapitalismuskritik. Autorin: Justina Schreiber
07. Juni
Donnerstag, 07. Juni 2018
Autor(in): Justina Schreiber
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Wie schnell sich fleißige Kleinbürger und Bürgerinnen doch von sich selbst entfremden. Weil sie sich nämlich schwuppdiwupp! aufspalten… zum Beispiel in Anna 1, die sich immerzu antreibt: jetzt stell dich nicht so an, da geht noch was an Einsatz und Selbstaufgabe! Und in Anna 2, die (zunächst noch) auf einem Leben beharrt, das auch Faulheit und Würde oder Stolz kennt, um dann letztlich – unter dem Druck ihres Alter Egos – ihre Werte auf dem Altar des Mammons zu opfern. Und damit leider auch ihr Glück. Ja, es ist ein Graus mit dem Kapitalismus. Aber will man das Elend wirklich derartig heftig mit dem dialektischen Holzhammer drübergezogen bekommen…?
Ein Beweis gelebter Toleranz
Nun, vielleicht war es ganz gut, dass die Mehrheit des Publikums dem deutschen Text der Tanzoper "Die sieben Todsünden" gar nicht folgen konnte, als das Werk am 07. Juni 1933 im Pariser Théâtre des Champs-Élysées Premiere hatte. Und die Emigranten unter den Zuschauern tobten sowieso vor Begeisterung. Für sie bedeutete die Inszenierung ein großartiges Statement. Ein Statement gegen antisemitischen Hass und nationalsozialistische Verfolgungswut. Ein Beweis gelebter Toleranz. Denn hatten sich hier nicht zwei in ihrer Heimat nun verachtete Intellektuelle noch einmal zur Zusammenarbeit vereint? Zwei Querdenker, deren Wege sich bereits getrennt hatten – und zwar wegen eigentlich unüberbrückbarer Differenzen? Aber der Komponist Kurt Weill war über seinen Schatten gesprungen und hatte Bert Brecht eingeladen, das Libretto zu diesem denkwürdigen Gesamtkunstwerk zu schreiben. Und der Dichter reiste extra aus dem Schweizer Exil an, um das Exempel an den beiden Annas zu statuieren: wie eine Person, deren Arbeitskraft auf dem freien Markt nicht viel gilt, in zwei Rollen zerfällt, in die der Ware und die der Sich-Selbst-Ausbeutenden. Was nur funktioniert, so Brecht, wenn sie die sieben Todsünden der Kleinbürger zu vermeiden lernt, als da wären Faulheit, Stolz, Zorn und so weiter.
Sündig hinter den Kulissen
Hinter den Kulissen jedoch schien man – wie zum Trotz - allen Lastern gleichzeitig zu frönen. Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya, die die Hauptrolle der Anna 1 sang, befand sich in Begleitung ihres Liebhabers, des Tenors Otto Pasetti, den der Gatte freundlicherweise mit einer Rolle bedacht hatte. Sie stürzte sich in eine heiße Affäre mit der Tänzerin Tilly Losch, der Darstellerin der Anna 2, deren Mann, der britische Multimillionär Edward James, das Stück aus seiner Portokasse finanzierte. Kurt Weil wiederum turtelte mit der Frau des Bühnenbildners Caspar Neher. Kurz gesagt: in den Wochen, in denen "Die sieben Todsünden" in Paris auf dem Spielplan standen, ließ es das Ensemble wohl ziemlich krachen. Ein Tanz auf dem Pulverfass. Denn die größte Gefahr stellte damals beileibe nicht der vergleichsweise harmlose amerikanische Kapitalismus dar. Sie ging von dem grausamen Regime aus, das sich kurz zuvor in Berlin etabliert hatte.