Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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18. November 2009 US-Psychiater outet Veranlagung zum Serienmörder

Seit Jahrzehnten erforscht James Fallon die Gehirne von Serienkillern. Eines Tages entdeckt er: Er fällt selbst in dieses Muster. Dabei hielt er sich immer für einen ganz unauffälligen Zeitgenossen. Autorin: Prisca Straub

Stand: 18.11.2020 | Archiv

18.11.2009: US-Psychiater outet Veranlagung zum Serienmörder

18 November

Mittwoch, 18. November 2020

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

James Fallon gilt als Spezialist für die Gehirne von Serienkillern, brutalen Vergewaltigern und gefährlichen Psychopathen. Und fast 60 Jahre lang gilt der Professor für Neurowissenschaften an der University of California in Irvine als charmanter Zeitgenosse: verheiratet, drei Kinder - und ein höchst unterhaltsamer Partygänger. Doch dann macht dieser "nette Kerl" eine Entdeckung.

Auf Fallons Schreibtisch liegt ein beachtlicher Stoß Hinaufnahmen. Gehirne von Menschen, die die fürchterlichsten Verbrechen begangen haben. Fallon identifiziert mühelos die typischen Grundmuster: Bereiche, die gar nicht oder nur wenig aktiv sind - sie erscheinen dunkelblau bis schwarz. Es sind die Schaltkreise, die mit Selbstbeherrschung, Verarbeitung von Angst und Empathiefähigkeit zu tun haben; was erklärt, warum psychopathische Gewaltverbrecher häufig eiskalt wirken und so wenige Hemmungen haben.

Zufallsbefund - Das Hirn eines Psychopathen

Parallel dazu arbeitet der Hirnspezialist noch an einer Alzheimerstudie, für die er eine Reihe von gesunden Probanden zum Vergleich braucht. So ist er auf die Idee gekommen, einfach die Gehirne seiner Familie unter die Lupe zu nehmen. Und da sind sie jetzt also, die Bilder seiner Lieben - ihre Hirne leuchten munter in Rot, Gelb und Grün. - Nur das letzte Bild im Stapel ist ungewöhnlich - ungewöhnlich dunkel. Alarmierende Muster verminderter Aktivität im präfrontalen Kortex gleich über den Augenhöhlen, im unteren Teil der Temporallappen, in der Amygdala. Geradezu protypisch für einen Gewaltverbrecher. Sieh an, denkt Fallon, der Scan ist bestimmt versehentlich in den Alzheimer-Stapel gerutscht - und er bittet den Labortechniker, den anonymisierten Code zu entblinden: Dabei stellt sich heraus: Hier wurde nichts verwechselt - und: Es ist sein eigenes Bild.

Familiengeschichte voller gewalttätiger Psychopathen

Andere hätte diese Entdeckung aus der Bahn geworden. Nicht aber James Fallon. Sein Gehirn sieht zwar aus wie das eines Serienmörders, aber er hat niemanden umgebracht, sich nicht mal brutal geprügelt. Im Gegenteil, er hält sich für einen ausgesprochen guten Kumpel. In den folgenden Jahren erzählt er kaum jemandem von dieser Aufnahme.

Doch dann - ein zufälliger Hinweis der Mutter, und Fallon beginnt nachzuforschen. Und tatsächlich: In der Familiengeschichte seines Vaters findet er nicht weniger als sieben Mörder oder Mordverdächtige. Unter ihnen sogar eine echte Berühmtheit: Lizzie Borden, die Axtmörderin. Vater und Stiefmutter soll sie in Einzelteile zerlegt haben. Und Fallon, der Neurowissenschaftler mit dem Verbrecherhirn? Er ist fasziniert.

Auf Fachkonferenzen, bei Vorträgen - immer wieder lässt er jetzt süffisante Bemerkungen über sein Psychopathenhirn einfließen: Achtung, vor Ihnen steht eine tickende Zeitbombe! Seinem Renommee schadet das alles nichts. Im Gegenteil, seine Karriere geht steil bergauf. Am 18. November 2009 spielt er sogar in der Fernsehserie "Criminal Minds" mit - Staffel 5, Episode 8. James Fallon, der Neurowissenschaftler, as himself.

Eine gute Geschichte ist es ja, und Gottseidank - James Fallon ist natürlich völlig harmlos. Nur: Was mag wohl Leuten durch den Kopf gehen, die allein mit ihm in den Aufzug steigen müssen?


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