Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von Mogwai, Masha Qrella, Pauline Anna Strom, Ex:Re und Animal Collective
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's unter anderem von Masha Qrella, Mogwai, Pauline Anna Strom, Grandaddy, Lael Neale, Cassandra Jenkins, Camera, Tindersticks und Animal Collective.
The Hold Steady – Open Door Policy
Bei The Hold Steady aus New York stelle ich mir die Entstehungsgeschichte immer so vor, dass sie einen Monat in ihrer Studentenbude nur die E-Street-Band gehört und sonst nur Jonathan Lethem-Bücher gelesen haben. Wahrscheinlich war es in echt noch langweiliger, als ich mir das vorstelle. Jedenfalls hören wir bei jedem Hold Steady-Album immer schlaue Beobachtungen im Sprechgesang und diesen nie langweilig werdenden Westcoast-Rock mit der tollen Bläsersektion. So auch auf dem neuen Album “Open Door Policy”, was vor der Pandemie geschrieben und aufgenommen wurde - und doch gut in die Zeit passt, denn es geht um psychische Gesundheit, Social Media und Kapitalismuskritik. Trotzdem ist das Album leider eine mediokre Veranstaltung. So gilt auch für The Hold Steady: Diese Band braucht dringend wieder eine Bühne. (5,5 von 10 Punkten)
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The Hold Steady - Family Farm
Tindersticks – Distractions
Das neue Album der Tindersticks macht seinem Namen alle Ehre: “Distractions” heißt es, also Ablenkungen. Klar, die können wir brauchen, aber bei dem vorliegenden Album heißt es eher Ablenkung durch Verwirrung. Denn “Distractions” ist ein Hybrid, zwischen neuen, sehr experimentellen Songs, Coverversionen und dann noch ein bisschen Lockdown-Stimmung. Obwohl Sänger und Songschreiber Stuart A. Staples darauf besteht, dass wir es nicht mit einem reinen Lockdown-Album zu tun haben. Für die Hörerin oder den Hörer ist das, wie gesagt, eher verwirrend, nicht konsistent, durchaus fordernd - aber vielleicht beschreibt das den Zeitgeist auch gerade ziemlich perfekt. Aber für zwei Cover lohnt sich das Hören schon: einmal das Neil Young-Cover “A Man Needs A Maid” und Dan Treacys “You’ll Have To Scream Louder”. (7 von 10 Punkten)
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Tindersticks - You'll have to scream louder (Official Audio)
Ex:Re – Ex:Re With 12 Ensemble
Elena Tonra ist die Sängerin der britischen Band Daughter. Als Ex:Re, geschrieben Ex Doppelpunkt Re, hat sie vor zwei Jahren ein Soloalbum aufgenommen, ein Trennungsalbum. Mit der klassischen Komponistin Josephine Stephenson hat sie das Album jetzt neu arrangiert und mit einem 12-köpfigen, klassischen Ensemble neu aufgenommen. Das Ensemble heißt “12 Ensemble” - wie einfallsreich. Kreativer sind da die neuen Arrangements: Herzschmerz mit Streichern nimmt einfach immer emotional mit. Ansonsten kann man das Album auch als Bewerbung für einen James-Bond-Titelsong sehen. Elena Tonra arbeitet momentan mit ihrer Band am dritten Daughter-Album. (6,8 von 10 Punkten)
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Ex:Re - Where the Time Went (with 12 Ensemble)
Mogwai – As The Love Continues
Post-Rock ist erstaunlich gut in die Zwanziger-Jahre gekommen, das kann man festmachen am neuen Album der genreprägenden Schotten von Mogwai. Vor 25 Jahren haben sie ihre erste Single veröffentlicht, jetzt erscheint das zehnte Album “As The Love Continues”. Ein Lockdown-Album, das von Dave Fridman in den USA aufgenommen werden sollte, aber Pandemie-bedingt sind Mogwai dann doch in der leeren englischen Provinz gelandet. Das Hin- und Herschicken von Files hat aber offensichtlich doch sehr gut funktioniert. Das Schöne an Mogwai ist, dass sie ihre Songs immer relativ eindeutig benennen, weil: Es sind ja meist Instrumentals, ohne Texte. So erfreuen wir uns an Titeln wie “Fuck Off Money” oder “To The Bin My Friend, Tonight We Vacate Earth” - zum Mülleimer mein Freund, heute Nacht räumen wir die Erde auf. Post-Rock und damit sich episch entwickelnde Songs leben, dank Mogwai. (7,6 von 10 Punkten)
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Mogwai - Ritchie Sacramento (Official Video)
Camera – Prosthuman
Fast hätte ich mich dazu hinreißen lassen, sie als deutsche Mogwai zu bezeichnen, aber das Berliner Trio Camera kommt aus einer anderen Ecke. Sie folgen der Tradition von Krautrock, der von Neu!, Can oder La Düsseldorf. Und das seit zehn Jahren sehr eigentümlich - im besten Sinne. Jetzt erscheint mit “Prosthuman” ihr fünftes Album. Und ich habe nach Album Nummer vier schon gesagt, dass diese Band noch kein schlechtes Album gemacht hat - und das bleibt auch so. Mit “Prosthuman” beweisen Camera wieder einmal, dass man dem Genre Krautrock definitiv noch etwas eigenes hinzufügen kann. Und das auch an den Tagen, wo “Tago Mago” von Can 50 wird. (7,8 von 10 Punkten)
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Camera - Kartoffelstampf
Masha Qrella – Woanders
Am 19. Februar, dem Tag an dem das Album “Woanders” erscheint, wäre Thomas Brasch 76 Jahre alt geworden. Die Berliner Songwriterin Masha Qrella feiert den Dramatiker, Schriftsteller und Regisseur auf ihrem neuen Album. Im November jährt sich zum 20. Mal sein Todestag. Brasch leistete einst Widerstand gegen die Zensur in der DDR, reiste aus in den Westen, gewann dort Preise für seine Film- und Theaterarbeiten. Masha Qrella wird durch einen Roman seiner Schwester Marion Brasch auf Thomas aufmerksam - seine Geschichte fasziniert sie so, dass sie beschließt seine Gedichte zu vertonen. Eine großartige Entscheidung: Qrella legt mit Braschs Texten ihr Opus Magnum vor. Dabei unterstützen sie: Dirk von Lowtzow, Andreas Spechtl und am ganzen Projekt beteiligt: Chris Imler. Qrella ist schon so lange im Geschäft, es wurde Zeit für ein Werk, das bleibt. (8,4 von 10 Punkten)
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Masha Qrella - Geister (Official Video)
Lael Neale – Acquainted With Night
Hypnose braucht keinen Beat - das beweist Lael Neale aus Los Angeles eindrucksvoll auf ihrem Album “Acquainted With Night”, heißt so viel wie “Vertraut mit der Nacht” und ist ein Buchtitel von Robert Frost. Neale singt darauf über Vergänglichkeit und Sehnsucht. Und das meist ohne Beat, nur mit ihrem Lieblingsinstrument, dem Omnichord, das ist eine Art Elektro-Synthie-Harfe. Sie erinnert mich dabei an irgendwas zwischen Angel Olsen und Joanna Newsom - aber auch an Hope Sandoval könnte man denken, denn: Neales Stimme hat etwas Hypnotisierendes. Die Hypnose hält sie leider nicht das ganze Album durch, aber das renommierte Label Sub Pop baut hier gerade eine sehr spannende Künstlerin auf. (7,8 von 10 Punkten)
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Lael Neale - Blue Vein [OFFICIAL VIDEO]
Grandaddy – The Sophtware Slump…On A Wooden Piano
Um es vorweg zu sagen: Ich mag Grandaddy, ich halte den Song “He’s Simple, He’s Dumb, He’s the Pilot” für einen der besten Albumopener der Nuller-Jahre, Jason Lytle hat für mich eine der schönsten Stimmen der Nuller-Jahre - aber das neu aufgenommene Piano-Album “The Sophtware Slump…On A Wooden Piano” ist ein Reinfall. Ein netter Zeitvertreib am Piano für Mastermind Jason Lytle während des Lockdowns, aber für die Hörer*innen kein Genuss. Die Reduktion fügt den 21 Jahren alten Songs nichts hinzu, keine weitere Ebene, kein Mehrwert - viel mehr wird klar, wie grandios die Produktion damals war: das leise Dröhnen, der Schluckauf der Drums. All das vermisse ich bei “The Sophtware Slump...On A Wooden Piano”. Meine Empfehlung: lieber das Original wieder auflegen. (4,5 von 10 Punkten)
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Grandaddy - In My Room
Cassandra Jenkins – An Overview On A Phenomenal Nature
Cassandra Jenkins aus New York lädt uns auf “An Overview On A Phenomenal Nature” zu einer Art Conscious Folk ein. Vertonte Tagebucheinträge, wobei das so nicht ganz stimmt, denn eigentlich ist sie hier im Dialog - mit sich selbst. Mal in Spoken-Word-Songs, mal wunderschön gemurmelt gesungen. Das erinnert mal an Patti Smith, mal an Joni Mitchell, denn Cassandra Jenkins lässt in ihren Songs auch gerne Jazz-Akzente aufblitzen. (7,5 von 10 Punkten)
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Hard Drive
Pauline Anna Strom – Angel Tears In Sunlight
Es sind diese Geschichten, die mich Pop so lieben lassen - obwohl diese Story einen traurigen Ausgangspunkt hat: Die blinde Amerikanerin Pauline Anna Strom ist im letzten Dezember mit 74 Jahren gestorben. Leider wird sie die Veröffentlichung ihres ersten Albums seit 30 Jahren nicht mehr miterleben. Es ist ein formidables Ambient-Electro-Album. Strom hat zwischen den Jahren 1982 und 1988 Musik unter dem Namen Trans Millenia Music veröffentlicht. Ich habe nochmal reingehört, das waren außergewöhnliche Aufnahmen. Strom war seit Geburt blind und hat eine ganz einzigartige Beziehung zu Soundflächen entwickelt. 2017 hat das Label RVNG Intl. eine Retrospektive rausgebracht, die in der Szene so gefeiert wurde, dass Strom anfing an neuen Tracks zu arbeiten - alleine in ihrem Appartement in San Francisco, wo sie seit über 40 Jahren gelebt hat. Das posthume Album “Angel Tears In Sunlight” wird so zum Vermächtnis, was den Tod von Pauline Anna Strom überdauern wird. Und das ist das Gute an der Geschichte. (7,9 von 10 Punkten)
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Pauline Anna Strom - Equatorial Sunrise
Animal Collective – Crestone OST
Wie weit Anna Pauline Strom ihrer Zeit in den 80ern voraus war, hört man deutlich bei der neuen Platte von Animal Collective. Die Collective-Mitglieder Geologist und Deakin haben für ihre Filmemacherin-Freundin Marnie Ellen Hertzler einen sandigen Soundtrack geschrieben. Es geht nämlich im Film um die Wüstenstadt Crestone in Colorado, die dem Film auch den Titel gibt. (7 von 10 Punkten)
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Animal Collective - Sand That Moves (from the Crestone [Original Score])