Neuerscheinungen der Woche Neue Alben von The Notwist, Madlib & Arlo Parks
Die Neuheiten der Woche im kompakten Überblick. Neue Platten gibt's u. a. von The Notwist, Madlib, Arlo Parks, Buzzy Lee, Chuckamuck, Dagobert, Goat Girl, Anna B. Savage, Everything is recorded und Richard von der Schulenburg.
Chuckamuck – Language Barrier
Ist Deutsch eine gute Sprache für Rockmusik? Ich finde, das kann sie sein. Viele SongtexterInnen können sich in ihrer Muttersprache besser ausdrücken, aber für den Erfolg sind deutsche Texte oft eher hinderlich. Mal abgesehen von so speziellen Exportschlagern wie der Kraftwerk-Robotersprache oder der überstilisierten Rammstein-Deutschtümelei. Die Krux mit der deutschen Sprache sieht auch die Berliner Band Chuckamuck. Die DIY-Punkbengel von einst sind nach 14 Jahren Bandgeschichte einerseits keine Bengel mehr. Und zum Zweiten singen sie jetzt nicht mehr deutsch. Ihr viertes Album will die Sprachbarriere im Titel überspringen. Dafür haben sie alte Hits in acht verschiedene Sprachen übersetzt. Der Song Hitchhike wird zum italienischen Luna Park , das Lied 20000 Meilen erklingt jetzt in Französisch und „Men Kiosken runt um hörnet dar jag bor“ ist die schwedische Version von „Der Laden um die Ecke“. Aber egal in welcher Sprache Chuckamuck singen, die Berliner Schnauze klingt immer durch. Sie singen die alten Songs nicht nur in neuen Sprachen, sondern haben sie auch musikalisch gegen den Strich gebürstet. (7,8 von 10 Punkten)
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Chuckamuck - Vingt Mille km
Arlo Parks – Collapsed In Sunbeams
Auf das Debüt von Arlo Parks wird schon sehnlichst gewartet. Die schwarze Britin mit den rotgefärbten, kurzen Haaren hat in den letzten Monaten mit einigen Singles für Aufhorchen gesorgt. Michelle Obama und Billie Eilish zählen schon zu ihren Fans. Der Titel des Debüts „Collapsed In Sunbeams“ zeigt schon, wie poetisch und intellektuell versiert Arlo Parks ist. Die Zeile geht auf das Buch „On Beauty“ von der britischen Schriftstellerin Zadie Smith zurück. Arlo Parks mag die Doppeldeutigkeit. Einerseits hätte die Sonne etwas Heilsames, andererseits drücke der Titel auch Überwältigung aus. Neben Zadie Smith nimmt Parks auch auf Jean Michel Basquiat Bezug. Sie verneigt sich vor schwarzen Vorbildern. Das wirkt aber nicht wie intellektuelles Gepose, da die Texte viel zu persönlich sind. Sie verpackt ihre Poesie und Cleverness in lockeren RnB Pop auf leichten HipHop-Beats. Arlo Parks ist eine junge, kluge, empfindsame Stimme im Pop, spuckt keine großen Töne, sondern wählt ihre Worte und Melodien mit Bedacht. Das Debüt unterstreicht, wieso sich gerade sämtliche Acts um ein Feature mit Arlo Parks bemühen. (8,5 von 10 Punkten)
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Arlo Parks - Hope (Official Video)
Buzzy Lee – Spoiled Love
Buzzy Lee ist der Künstlerinnenname von Sasha Spielberg. Sie ist die Tochter von Hollywoodregisseur Steven Spielberg. „Spoiled Love“ steckt voller sanfter Piano-Balladen, die sie mit ätherischer Stimme singt. Das erinnert an skandinavische Sängerinnen wie Ane Brun oder Agnes Obel. Hin und wieder überschlägt sich ihre Stimme wie bei Kate Bush. Das Album hat einen düsteren Unterton, was sicherlich auch die Handschrift von Nicolas Jaar zeigt, der das Album produziert hat. Seinen elektronischen Einfluss hört man besonders, wenn die ruhigen Pianostücke euphorischer werden. Buzzy Lee und Nicolas Jaar sind schon länger befreundet und harmonieren jetzt auch musikalisch. Die großen Momente hat die Platte in den weniger ausproduzierten, minimalistischen Stücke am Klavier wie dem Titelsong „Spoiled Love“. (8 von 10 Punkten)
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Buzzy Lee - Spoiled Love (Official Audio)
Anna B Savage – A Common Turn
Das Debüt der Londonerin steckt voller Unsicherheit und Selbstzweifel. Sie stellt sich andauernd Fragen: „Is this real?“, „Do I Understand This?“, „What do you love about me?“. Und im Song „Dead Pursuits“ fragt sie sich in Anbetracht ihrer ersten Platte: „Drei Jahre und ich habe immer noch Angst, dass es ein mittelmäßiges Album wird. Werd ich es jemals aufnehmen?“ Sie hat es aufgenommen und auch die zweite Sorge können wir ihr nehmen: Es ist kein mittelmäßiges Album, es ist ein starkes Debüt. Der exaltierteGesang ist ein Hinhörer. Dazu die angegainte Gitarre und die anschwellenden Beats. Das ist durchaus besonders. „A Common Turn“ ist aber vor allem so intensiv, weil Anna B. Savage so zerrissen und intim textet. Im Song „Chelsea Hotel #3“ sind wir beispielsweise in der Ich-Persektive bei schlechtem Sex dabei. Im Hintergrund läuft Chelsea Hotel #2 von Leonard Cohen. Anna B Savage erzählt bildlich und detailgetreu. Nur eine Szene auf diesem Album, die unter die Haut geht. (7,8 von 10 Punkten)
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Anna B Savage - Baby Grand (Official Video)
The Notwist – Vertigo Days
Markus und Micha Acher von The Notwist haben uns im Zündfunk-Interview erzählt, dass sie das neue Album offen gestalten wollten. Es sollte dem umgreifenden Nationalismus etwas entgegensetzen. „Vertigo Days“ ist wärmer, vielfältiger und politischer. Mit Gästen wie Angel Bat Dawid und Ben LaMar Gay vom angesagten Chicagoer Jazzlabel International Anthem. Wir hören den asiatischen Einfluss der Tenniscoats, der befreundeten japanischen Band, mit der die Achers zuletzt im Nebenprojekt Spirit Fest spielten. Juana Molina ist zu Gast. Es sind nicht mehr nur englische Texte, sondern auch japanische, spanische und französische. Dabei entsteht kein eklektischer Haufen, sondern eine sehr durchdachte, dramaturgisch ineinandergreifende Musikerfahrung.
Das Album, zeichnet sich durch Vielfalt, Toleranz und Offenheit aus, eben nicht durch Aus- oder Abgrenzung. Dazu klingt die markant zarte Stimme von Markus Acher in den Balladen wie ein vertrauter Widerhall aus ihrer Neon-Golden-Ära. Dazu noch die knisternden Percussions und Loops von Cico Beck (Joasihno). Das fühlt sich ganz heimelig an, gerade weil die Musik von Notwist in der Welt zuhause ist. (9 von 10 Punkten)
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The Notwist - Vertigo Days (Full Album) 2021
Madlib – Sound Ancestors
Der britische Produzent Four Tet schrieb vor einiger Zeit, dass er schon seit mehreren Jahren mit dem kalifornischen Producer Madlib befreundet sei und Musik mache. Seit Monaten sei ein Album fertig. Jetzt erscheint es auch endlich und heißt „Sound Ancestors“. Es ist die erste originäre Soloplatte von Madlib in seiner 30-jährigen Karriere. Four Tet wollte nicht einfach nur Beats produzieren, über die Madlib rappen kann, es sollte ein Durchhör-Album werden. Das kongeniale Duo schafft das mit jeder Menge Jazz, Beats, Reggae und vielen schönen Vocal-Snippets. Es gibt ein paar Filler, aber durchaus einige Killer. (7,5 von 10 Punkten)
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Madlib - Sound Ancestors (Full Album)
Goat Girl – On All Fours
Die vier Ladies kommen „auf allen Vieren“ auf ihrer zweiten Platte. On all fours st nicht mehr so verspult, psychedelisch wie das Debüt, das ich in guter Erinnerung habe. Sie erinnern immer noch stark an Warpaint. Der Gesang wird uns extremst cool und unbeeindruckt vor den Latz geknallt. Mir gefällt Vieles an dieser Platte: Sie ist aufgeräumter und oft zugänglicher. Es erklingen Mariachi-Trompeten im Hintergrund, die den Sound voluminöser machen, Disko-Beats und tolle Krautrock-Phasen ziehen das Tempo auch mal an. Aber: Mit all diesen Eindrücken will ich das Album immer mehr lieben, als ich es dann wirklich tue. Ich befürchte, es liegt am Gesang. (7,5 von 10 Punkten)
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Goat Girl - "Badibaba" (Official Lyric Video)
Dagobert – Jäger
Ich hab heute noch ein Lächeln im Gesicht, wenn ich an das Debüt von Dagobert denke. Dieser Schweizer Grenzgänger zwischen Chansonnier und Schlagersänger war herrlich uneindeutig und verschroben. Dann sah ich Dagobert im Fernsehgarten bei einem schrecklich kitschigen Auftritt, und all der Witz war dahin. Die Kunstfigur entzaubert.
Mit seinem vierten Album „Jäger“entzaubert er sich weiter. „Jäger“ ist nämlich auch Dagobert's Klarname. Das ganze Album ist in den Schweizer Bergen und Wäldern entstanden. Das Cover ziert ein Foto von Dagobert. Er steht im Wal - in Jägerstellung. Allerdings hält er kein Gewehr im Anschlag, sondern einen Ast. Musikalisch ist es nicht mehr so schlageresk, aber textlich manchmal doch noch sehr banal. Der Synthesizer klingt manchmal, als wäre er bei den Flippers aus dem Tourbus gefallen. Doch Dagobert kann noch spannend sein, wenn es nachdenklicher und musikalisch düsterer wird. Wenn er sich inszeniert, uneindeutig und vage bleibt. Ein positives Beispiel ist der Song „Im Wald“. (5,5 von 10 Punkten)
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Dagobert - Jäger
Everything Is Recorded – Saturday Special Clipz Remixes
Vergangenes Jahr erschien die Platte „Friday Forever“ von „Everything Is Recorded“. Das ist das Projekt von Richard Russell, dem Chef der wichtigen britischen Plattenfirma XL Recordings. Russel hat Drum n Bass Künstler Clipz gebeten, Friday Forever zu remixen. Clipz war früher einer der großen Namen aus der Drum n Bass Szene in Bristol. Entstanden ist Saturday Special und ich finde das Remix Album sogar besser als das Original. (7,5 von 10 Punkten)
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Everything Is Recorded - The Night (feat. Berwyn) – CLIPZ Remix
Freizeit98 – Wohnen auf Inseln (EP)
Die bayerische Indieband hat es im Corona-Band-Homeoffice aufgenommen. Das war natürlich nicht ganz einfach, schreibt die Band, aber es ist ihnen gelungen. Toller Trashpop von der Band aus Waldkraiburg/München. Die EP ist im Eigenvertrieb erschienen und gibt es auf ihrer Bandcampseite. (7,5 von 10 Punkten)
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Wohnen auf Inseln