Kriegsende 1945 | Der Luftkrieg (2) Leben in Trümmern
Sieben Menschen in einer Wohnung, ohne Heizung, ohne Wasser oder ganz ohne Dach: Nach dem Leben unter Beschuss wird das Leben in Trümmern zu einer neuen Belastungsprobe. Erst muss der Schutt weg, dann folgt ein historisch beispielloser Wiederaufbau - mit Nachwirkung.
"Ich verabschiede mich von meinen Zuhörern, vielleicht hören wir uns einmal wieder."
Letzte Nürnberger Luftmeldung, 16. April 1945
Lange noch klangen sie den Nürnbergern in ihrer plötzlich so still gewordenen Stadt wie ein Echo in den Ohren: Die Sirenen - und die Stimme von "Onkel Baldrian". Dieser Baldrian hieß eigentlich Arthur Schöddert, war Westfale, Wachtmeister und Radioansager der Flak-Artillerie, und sein beruhigend volltönendes Organ begleitete die Nürnberger umsichtig vier Jahre lang durch Bombennächte und Bombentage.
Seine bedeutendste Leistung: eine Durchsage, die er nicht machte. Mit dem Geheimbefehl "Code Puma" wollte der Gauleiter SS und Gestapo die Zerstörung der städtischen Infrastruktur anordnen. Onkel Baldrian nahm den Befehl entgegen - und schwieg. Seine letzte Ansage, die er mit dem Schlager "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern" beendete, löste bei vielen Nürnbergern eine Art Abschiedsschmerz aus.
Aus dem Keller auf die Straße
Onkel Baldrian und die Angst vor den Bomben waren weg, die Erschütterung blieb. Und tonnenweise Trümmer. Nürnberg ist zu 90 Prozent zerstört, beim Einmarsch der Amerikaner sind fast 100.000 Nürnberger obdachlos. Für die 59.000 Würzburger stehen 1947 noch 8.200 Wohnungen zur Verfügung – im Durchschnitt müssen sich mehr als sieben Personen eine Wohnung teilen. Und "Durchschnitt" ist bei vielen Häusern wörtlich zu nehmen. München kämpft mit fünf Millionen Kubikmetern Schutt
Galerie: Bilder aus dem Münchner Nachkrieg
Ein Mitläufer in der Linie 8
"Die Menschen, die im Wagen drin, die schaun gar grantig, niemand lacht - im Wagen von der Linie 8". Weiß Ferdls berühmtes Couplet beruht auf eigener Erfahrung. Von 1945 bis zu seinem Tod 1949 war der Sollner häufig mit dieser Linie ins Stadtzentrum unterwegs - sein Auto hatten die Amerikaner wegen seiner Nähe zur NS-Prominenz konfisziert.
Angesichts des Trümmerfeldes
"Wir sind wir überein gekommen, als erste Maßnahme nix anderes als Einrichtungen zu schaffen, um die neun errechneten Millionen Kubikmeter Schuttmassen aus der Stadt zu schaffen. Erst einmal die Straßen sauber machen, die öffentlichen Plätze wieder in Ordnung bringen, dann die total zusammengeworfenen Privatobjekte und staatlichen Objekte und gemeindlichen Objekte. Denn wenn der Dreck nicht wegkommt, kann doch keiner jemals daran denken, irgendwie wieder aufzubauen!"
Thomas 'Dammerl' Wimmer, von 1945 -1960 erst dritter, dann zweiter, dann Oberbürgermeister von München
Die legendären "Trümmerfrauen" haben damit - wie die Historikerin Leonie Treber festgestellt hat - eher wenig zu schaffen. Vielmehr ist es die zunächst die Besatzungsmacht, die als erste Amtshandlung unpassierbaren Straßen räumen lässt. Die Zivilverwaltung macht weiter.
Bayerische Stadtlandschaften: Alles neu nach dem 8. Mai
Historisch beispiellos: Binnen einer einzigen Generation entstehen fast zwei Drittel der westdeutschen Bausubstanz neu. In Bayern wachsen von 1949 bis 1956 550.000 neue Wohnungen aus dem Boden. Die Sprache führt hier in die Irre: Wie die politische Re-Education ("Wieder-Erziehung") durch die Alliierten als "Umerziehung" schlechtgeredet wird, beschönigt das Wort "Wiederaufbau" den oft grundlegenden Umbau der Stadttopografie, dem oft auch noch Erhaltenes zum Opfer fällt.
Häufig nehmen funktionelle "Wohncontainer" mit mehr oder minder erfülltem Modernitätsanspruch die Stelle organisch gewachsener Strukturen ein. Durch die Schneisen der Verwüstung schlagen sich mehrspurige Schnellstraßen mit dem Ziel einer "autogerechten Stadt". In München entsteht so der Altstadtring, in Regensburg verhindert nur die leere Stadtkasse die "Planierung" der Donaupromenade.
Nach dem Ende der architektonischen Erste-Hilfe-Aktionen um 1960 sind aus Planungsradikalismus und Sachzwängen oft städtebauliche Zwangsneurosen geworden. Konservative wie linksliberale Publizisten fällen ein überwiegend negatives Urteil über die Realität deutscher Städte: Wolf Jobst Siedler ("Die gemordete Stadt", 1964) und Alexander Mitscherlich ("Die Unwirtlichkeit unserer Städte", 1965) beklagen ästhetische wie soziale Defizite, Erwin Schleich kristisiert "Die zweite Zerstörung Münchens"(1981) .
Bildergalerie: Folgen und Spätfolgen der Zerstörung
Der bayerische Sonderweg
Bausünden gibt es genug. Insgesamt aber entscheidet man sich in Bayern - nicht zuletzt aus Rücksicht auf den Wirtschaftsfaktor Tourismus - überwiegend für die historische Rekonstruktion.
Die Idee, Würzburgs Ruinen zu konservieren und die Stadt an anderer Stelle neu zu planen, wird so wenig realisiert wie das preisgekrönte Projekt, Nürnbergs Altstadt im "international style" neu zu errichten. Stattdessen überpflastern die weiterhin tätigen "Chefbaumeister" der Reichsparteitagsstadt die Wunden des Bombenkriegs mit mäßig subtilen Nachbauten auf den alten Grundrissen.
In München sorgt Oberbürgermeister Thomas Wimmer dafür, dass der Stadtrat mit einer - seiner - Stimme Mehrheit den Wiederaufbau von Rathaus und "Altem Peter" in die Wege leitet. Die personelle Kontinuität ist auch hier bemerkenswert: Karl Meitinger, der die Rekonstruktion leitet, ist schon seit 1910 in der Stadtverwaltung und seit 1938 zum Stadtbaurat befördert. Die Kritik am ungerührten Weitermachen der Eliten ist scharf, aber nicht allgemein, die Ironie der Geschichte einigermaßen bitter: Die Ergebnisse sind heute lebenswerter als die meist anspruchsvoller gedachten Planungen in Kassel, Pforzheim oder Hagen.