Kriegsende 1945 | Der Alltag (2) Vom Kino in den Keller
"Davon geht die Welt nicht unter", sang Zarah Leander. Doch als die letzte deutsche Filmproduktion fertig war, gab es kaum noch Kinos. Nach Kriegsende leben Kulturhunger und Vergnügungsdurst erstaunlich schnell wieder auf.
Als die Kriegsmaschinerie anrollte, liefen die Kinoprojektoren schon auf Hochtouren: Über eine Milliarde Deutsche besuchten in der Saison 1939/40 die Lichtspieltheater. Selbst im ländlichen Bayern musste von Abensberg bis Zwiesel kaum ein Ort mit vierstelliger Einwohnerzahl ohne Kino auskommen. Das Kino war die Kunstform der Stunde.
Zarah Leander und Marika Rökk erlebten auf der Leinwand "Eine rauschende Ballnacht". Ilse Werner - später deutsche Truppenbetreuerin - pfiff auf ihren "Bel Ami" und Lilian Harvey - später französische Truppenbetreuerin - gab vor ihrer Emigration die "Frau am Steuer". Nach den Wochenschau-Siegesmeldungen aus dem "Blitzkrieg" zeigte sich der deutsche Film weiblich und weltläufig.
Kriegsdreh im Hinterland
Drei Jahre später war die große Welt des Films Bayern unfreiwillig noch näher gekommen: Viele UFA-Filme wurden inzwischen statt in Berlin an vergleichsweise "bombensicheren" Schauplätzen im Allgäu, in Oberbayern und Franken gedreht. 1943 versuchte ein für Außendreharbeiten ins unzerstörte Bamberg geflohenes Filmteam vergeblich, die Aufnahmen zur "Feuerzangenbowle" - einem der letzten reinen Unterhaltungsfilme - in die Länge zu ziehen, um die Einbestellung der jungen Schauspieler an die Front zu verhindern.
Bombenstimmung und letzter Vorhang: das letzte Kriegsjahr
Spätestens 1944 war der Besuch von Kinos, Theatern und Konzerten ein gefährlicher Spaß - das in der Theaterszene des 19. Jahrhunderts entstandene Wort Bombenstimmung hatte eine ganz neue Bedeutung bekommen. In der zum deutschen Vorzeige-Musiktheater ausgebauten Münchner Oper fand die letzte Vorstellung am 3. Oktober 1943 statt: Kurz vor dem Ende von Hitlers Lieblingsoper "Die Meistersinger von Nürnberg" fielen Bomben auf das Residenztheater und beendeten den Spielbetrieb. Wenig besser erging es dem Prinzregententheater, der Nürnberger Oper, den Stadttheatern Augsburg, Landshut und Ingolstadt.
"Ich war in einem Geschäft tätig, das noch Notenpapier hatte, das ich einem Operndirigenten verkaufen konnte und dafür kostenlos Platz in der Loge bekam. (...) Oft wurde wegen Voralarm abgebrochen, und man eilte zu Fuß nach Hause oder zum nächsten Bunker oder Splittergraben."
Charlotte H. , Nürnberg, in : Der Luftkrieg gegen Nürnberg von Melanie Wagner, S. 170
Zwar wurde streng darauf geachtet, dass alle öffentlichen Vergnügungsstätten Zugang zu Luftschutzräumen boten; nicht immer aber war Raum für alle Besucher vorhanden. Wen der Bombenalarm auf dem Nachhauseweg durch die verdunkelten Städte ereilte, der hielt verzweifelt nach den seit 1939 auf Straßen und Gebäuden angebrachten weißen Markierungen Ausschau, die den Weg in Luftschutzkeller und Bunker wiesen.
Dennoch lief der Unterhaltungsbetrieb lange ungebremst weiter: Todesangst und Lebenslust gingen eine erstaunliche Symbiose ein. Erst nach der "totalen Mobilmachung" fiel in den deutschen Theatern, Opernhäusern und Varietés in der Nacht des 31. August 1944 der letzte Vorhang; das unzerstörte Bamberger Stadttheater fungierte von da an als Auffanglager für Flüchtlinge.
Abspann, Einmarsch, Weitermachen: April/Mai 1945
Das letzte realisierte Kino-Großprojekt, der martialische Durchhalte-Streifen "Kolberg", fand am 30. Januar 1945 nur noch vereinzelt den Weg in die Kinos: es gab kaum noch welche. In Nürnberg etwa hatten nach dem Angriff vom 2. Januar die letzten zwei von ehedem zwei Dutzend Kinos den Betrieb eingestellt. Das zum Lichtspielhaus umgewandelte Regensburger Stadttheater erlebte am 22. April eine der letzten bayerischen Kinovorführungen: Dann standen die Amerikaner in der Stadt. Der Krieg endete, wie er begonnen hatte: mit einem - diesmal freilich negativen - Zuschauerrekord.
Weitermachen! Nachtleben und Erwachen im Nachkrieg
In der Trümmerzeit blieb das Nachtleben dann fürs Erste im Keller: Bis zur Wiedereröffnung der ersten Kinos und Theater Ende 1945 erschöpfte es sich in privaten Musikabenden und Lesungen. Die gute Nachricht: "Feindsender" hören war ab sofort erwünscht. "Radio Munich", eben noch "Reichssender München", nachmals der Bayerische Rundfunk, brachte ab dem 12. Mai im Auftrag der Besatzungsmacht endlich wieder Musik - und sogar Swing! - unters Volk.
Am 8. Juli standen die Münchner Philharmoniker unter Eugen Jochum wieder auf der Bühne - nämlich des ausverkauften Münchner Prinzregententheaters. Auf den meist improvisierten "Brettln" der bayerischen Hauptstadt tischte das genialische Münchner "Eigeng'wachs" Fred Kinglee dem heißhungrigen Publikum Karl Valentins "Russischen Salat" aus dem Jahr 1902 auf ("Ananas und Karfiol, Bismarckhering und Odol...") und erprobte deutschen Jazz. Und wie aus dem nichts waren auch die Kabarettisten wieder da.
"Wenn sich alle Pläne dieser Woche verwirklichten, gäbe es bald mehr Kabaretts als unzerstörte Häuser"
Erich Kästner, der im August 1945 seine Schaubude an den Start brachte
Meist freilich genoß, wer noch ein Bett sein eigen nannte, nach dem harten Tagwerk des Wiederaufbaus lieber seine endlich bombenfreie Nachtruhe. Das Erwachen fand so oder so zunächst ohne Morgenzeitung statt. Mit der "Lizenz Nummmer 1" vom 6. Oktober ging zuerst die Süddeutsche Zeitung in Druck. Ihre erste Druckplatte bestand aus eingeschmolzenen Teilen des Bleisatzes von "Mein Kampf".