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Der klassische Klangkörper

Von: Jens Berger / Sendung: Markus Mayer

Stand: 16.06.2015 | Archiv

Das Symphonieorchester: Der klassische Klangkörper

Literatur und MusikMS, RS, Gy

Es zählt zu den gepriesenen Kulturgütern, ist Sinnbild für Zusammenarbeit im Sinne der Kunst und trotzdem immer wieder in seiner Finanzierbarkeit bedroht: das Symphonieorchester. Was aber zeichnet symphonische Musik überhaupt aus?

Die Symphonie: ein Kind mit mehreren Vätern?

Sie hören im Konzert Schuberts "Unvollendete", pfeifen beim Spazieren ein Thema aus der "Eroica" oder Sie genießen über Kopfhörer die Klangfülle von Mahlers "Dritter". Dann mögen Sie glauben, dass das Konzept einer Sinfonie (oder Symphonie, je nachdem, ob man Griechisch oder Italienisch schöner findet) bestimmt irgendwann einmal "erfunden" wurde. Ein genialer Einfall - von Mozart vielleicht?

So war es nicht - natürlich. Verschiedene Vorfahren trugen dazu bei, dass sich am Ende des Barock eine neue Musikgattung herauskristallisierte. Sie sollte für zweihundert Jahre den Ton angeben. Den großen Rahmen, den Ablauf der Symphonie lieferte die tänzerische Satzfolge der Suiten mit ihrem Wechsel zwischen Metren und Ausdruckscharakteren. Die Oper steuerte ihre Ouvertüre bei, die sogenannte "Sinfonia". Darin steckte die Arbeit mit Themen und Motiven, der Kampf zwischen Dur und Moll.

Die mitunter schnörkelig-prächtige Tonsprache des Barock wurde von schlichteren Formen abgelöst. Das pathetische Gedicht präsentierte sich nun als charmante und pointierte Erzählung. Nicht mehr nur Affekte, sondern auch Gedanken sollte die Musik vermitteln - auch dies ein Erbe von Humanismus und aufgeklärtem Bürgertum. Haydns Sinfonien begründeten die "Wiener Klassik", die man vor allem im deutschsprachigen Raum so bezeichnete.

Das Symphonieorchester philosophiert

Mit Beethoven beschreitet die symphonische Musik dann endgültig neue Wege. Er selbst nannte es so: Zwischen den Stimmen des Orchesters werden wichtige und große Themen verhandelt wie der Kampf des Einzelnen gegen Viele, die Macht der Freundschaft, der Triumph des Beharrlichen, die Tragik des Unausweichlichen. Es war die Zeit der großen idealistischen Begriffe, der "absoluten Musik". Nicht nur der fertige Gedanke, sondern auch seine Entwicklung wurde unter die künstlerische Lupe genommen. Musik, Leben und Philosophie suchten ihre Gemeinsamkeiten: Hauptthema, Seitenthema, Durchführung, Coda = Krise, Kampf, Bewältigung, Lösung. Oder auch These, Antithese, Synthese?

Das forderte unter den Romantikern eine Gegenbewegung heraus: eine Klangmalerei, deren plastischen Genüssen man sich einfach hingeben konnte. Symphonien stellten Landschaften dar, zeichneten Biographien nach und traten an die Stelle nationaler Symbole. Möglich machten es neue Instrumente und eine immer weiter ausdifferenzierte Besetzung im Orchester.

Einer für alle, alle für einen?

Je komplexer sich dabei die musikalischen Strukturen entwickelten, desto unentbehrlicher wurde einer, der in der Probe für Überblick sorgt und im Konzert die Fäden in der Hand behält: der Dirigent. Er muss Einsätze geben, für Ordnung sorgen, interpretieren, motivieren, formen, regeln, das Beste aus den Musikern und der Situation herausholen. Zwei Dinge braucht er dazu: Partitur und Taktstock. Erst die Einführung der Partitur ermöglichte es dem musikalischen Leiter, alle Stimmen zu überblicken. Und mit dem Taktstock konnte er bei der immer größe­ren Menge an Musikern präzise Zeichen geben und zuordnen. Heute hingegen verzichten immer mehr Dirigenten auf diese einstige Machtinsignie. Schließlich geht die Entwicklung weg vom machtbewussten und autoritären Orchesterchef und hin zum kompetenten und kollegialen Team-Leiter.

Eine unklare Lage

Das zwanzigste Jahrhundert wird wohl als die Epoche des Tonträgers und des Experiments in Erinnerung bleiben. Nachdem Harmonik und Instrumentationskunst ausgereizt waren, suchten die Komponisten unzählige verschiedene Wege, die mal mit allen Traditionen brechen, mal verschiedenste alte Vorbilder erneuern wollten. Zwischen Zwölftonreihe, Filmmusik und Minimal Music hat sich noch keine neue Hauptströmung im Konzertprogramm etabliert. Welche Zukunft haben Symphoniekonzert und -orchester? Wo gilt es, Staub von schon liturgisch wirkenden Traditionen zu schütteln? Was ist unter dem Staub versteckt?


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