Bayern 2 - radioWissen


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Brotzeit, Bier, Belustigung

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Carola Zinner

Stand: 14.04.2016 | Archiv

Das Münchener Oktoberfest: Brotzeit, Bier, Belustigung

GeschichteMS, RS, Gy

Das Münchner Oktoberfest ist das größte und bekannteste Volksspektakel der Welt. Was 1810 als bayerisch-patriotische Feier begann, ist heute Wirtschaftsfaktor und globaler Anziehungspunkt für Bierliebhaber und Vergnügungssüchtige.

Bayern im Jahr 1810 - ein Land auf der Suche nach Identität

In der napoleonischen Zeit stieg Bayern dank einer ebenso berechnenden wie glücklichen Bündnispolitik zum Königreich auf und verdoppelte bis 1806 seine Größe. Nun galt es, alte und neue Gebiete unterschiedlichster historischer, kultureller, religiöser und ökonomischer Prägung zu einem einheitlichen Staatsgebilde zusammenzufügen. Klöster und Orden wurden aufgelöst. Als der geistliche Besitz in Staatseigentum überging (Säkularisation), taten sich zahlreiche Landbewohner schwer, den Wechsel der Grundherrschaft zu verwinden.

Bayerische Truppen beteiligten sich 1806/07 am Krieg des Franzosenkaisers gegen Preußen und Russland; in Schlesien und Polen tobten heftige Kämpfe. Beim Feldzug gegen Österreich 1809 erlitten die Bayern schwere Verluste, als sich die Tiroler unter Andreas Hofer erhoben und die Besatzer zweimal aus dem Land warfen, bevor sie im November am Berg Isel besiegt wurden.

Im Jahr 1810 waren viele Untertanen König Max I. Joseph (1756-1825) verunsichert. Zahlreiche "Beutebayern" akzeptierten die Gebietsreform nur zähneknirschend, etlichen Neubürgern mangelte es an Nationalgefühl. Am Königshof erkannte man, dass die junge Monarchie einer Kräftigung bedurfte. Doch wie ließ sich den Bayern die nötige Dosis Patriotismus verabreichen? Durch ein großes Fest zur Stärkung des Gemeinschaftsgeistes!

Volksvergnügen für Bayerns Einheit

Anlass für die mehrtägigen Feierlichkeiten in der "Maximilianswoche" (12.-17. Oktober 1810) war die Hochzeit des Kronprinzen Ludwig mit Therese von Sachsen-Hildburghausen. Der Tag der Eheschließung war zudem der Namenstag des Königs. So kam München in den Genuss eines gut organisierten Festes, bei dem die Herrscherfamilie viel Präsenz zeigte. Der König begab sich unters Volk und mimte den jovial-gütigen Landesvater.

Die Trauung fand am 12. Oktober statt, am Tag darauf begann die Verköstigung der Untertanen an mehreren Stellen in der Münchner Innenstadt. Laut "Allgemeiner Zeitung" wurden 32.000 Maß Bier, 8.000 Maß Wein, 32.000 Portionen Brot, 16.000 Portionen Braten, 4.000 Käse, 8.000 Cervelatwürste und 16.000 Paar geräucherte Würste an die Menschen verteilt.

Pferderennen auf Theresens Wiese

Als Münchner Bürger nach einem passenden Geschenk für das Prinzenpaar suchten, hatte der Lohnkutscher Franz Baumgartner, der als Kavallerie-Unteroffizier in der Nationalgarde Dienst tat, die rettende Idee: Man veranstaltet ein Pferderennen, aber nicht nur für die Hautevolee, sondern auch für die Allgemeinheit. Baumgartners Vorgesetzter, der Major Andreas Dall'Armi, war begeistert und beschaffte die nötige Genehmigung.

Als Rennbahn eignete sich eine freie Fläche zwischen München und dem Dorf Sendling. Der Ort atmete Geschichte. Hier fand 1705, während des Spanischen Erbfolgekrieges, die "Sendlinger Mordweihnacht" statt: Österreichische Besatzungstruppen metzelten hunderte Bauern und Handwerker aus dem Oberland, die München befreien wollten, grausam nieder. Aus dem Massaker war längst ein Mythos geworden, das Areal eignete sich also bestens als Symbol für die Treue der Bayern zum Herrscherhaus.

Das Rennen verfolgte die königliche Familie unter Schutz eines auffälligen Pavillons, eines Beutezelts aus der Zeit der Türkenkämpfe in den 1680er Jahren. Mehr als 40.000 Besucher kamen - es war gelungen, die patriotischen Gefühle der Bayern anzusprechen. Der Platz hieß nun, benannt nach der Braut, "Theresens Wiese", bald wurde daraus die "Theresienwiese". Ein geregelter Getränkeausschank fand 1810 noch nicht statt, nur auf einer Anhöhe bei Sendling standen einige Wirtsbuden. Die Veranstaltung war dennoch ein Riesenerfolg - und wurde als Oktoberfest mit Spiel, Gaudi, Unterhaltung und Bier zur Dauereinrichtung.

Dem Hause Wittelsbach wird gehuldigt

Der gesamtbayerische Landwirtschaftliche Verein organisierte in den folgenden Jahren das Oktoberfest als Erntedankveranstaltung, weiterhin mit Pferderennen und einer Leistungsschau der Regionen. Die Städter begannen sich für den Agrarsektor zu interessieren, auch das persönliche Verstehen von Neu- und Altbayern machte Fortschritte.

München erhielt 1818 das kommunale Selbstverwaltungsrecht und war fortan für die Ausrichtung des Oktoberfests zuständig. Die Stadt erwarb Grundstücke auf der Theresienwiese und verpachtete Standplätze an Wirte, Bierbrauer, Karussell- und Imbissbudenbetreiber. Getrunken wurde im Freien, bei schlechtem Wetter wichen die Besucher in Bretterbuden aus; viele brachten ihr Essen mit, Lohnwürstlbrater kamen zum Einsatz.

Ludwig I. (1786-1868) ließ sich 1826 als neuer König auf dem Oktoberfest feiern. "Volksfeste", meinte er, "sprechen den Nationalcharakter aus, der sich auf Kinder und Kindeskinder vererbt". Anlässlich seiner Silberhochzeit begründete er die Tradition der Festumzüge: Eine aufwendige Prozession mit zahlreichen Wagen zeigte Alltagsszenen aus dem gesamten Königreich.

Am 12. Oktober 1842 - dem Hochzeitstag seiner Eltern - zog der mit Prinzessin Marie von Preußen frisch verheirate Thronfolger Maximilian zur Feier auf die Theresienwiese; eingeladen waren auch 35 Hochzeitspaare aus allen Teilen Bayerns. Unverkennbar war das Oktoberfest nun ein dynastisches Ereignis. König Max II. (1811-1864) förderte, um das bayerische Gemeinschaftsgefühl zu vertiefen, Trachten, Bräuche und Volksmusik. Dirndl und Lederhose ebnete er den Weg zum bayerischen Nationalkostüm - heute sind sie unverzichtbarer Bestandteil der Wiesnmode.

Das Oktoberfest etabliert sich als Bierfest

Anders als seine Vorgänger hielt sich der menschenscheue "Märchenkönig" Ludwig II. (1845-1886) vom Oktoberfest fern. Gegen dessen Vorverlegung in den September - schlechtes Oktoberwetter trübte immer wieder die Freude am Feiern - ab 1872 hatte er nichts einzuwenden. Der volkstümliche Prinzregent Luitpold (1821-1912) war dagegen häufig auf dem Oktoberfest zu treffen. Seine Regierungszeit steht für Wirtschaftswachstum, Ausbau der Wiesn und die Dominanz der Großbrauereien.

Im späten 19. Jahrhundert tat sich viel auf der Wiesn. Hunderte Wirts-, Verkaufs- und Schaubuden, Varietés, Ausstellungen und Zirkuszelte bereicherten das Fest. Die Münchner Brauereien erlebten im Zuge der Industrialisierung einen enormen Aufschwung, in der Bierbranche vollzog sich ein Konzentrationsprozess. Finanzstarke - und investitionsbereite -Großbrauereien drängen die Oktoberfestwirte mit ihren kleinen Bierbuden in den Hintergrund und wurden bevorzugte Ansprechpartner der Stadt München. In den 1890er Jahren erschienen schließlich von Architekten entworfene, abbaubare Bierhallen ("Festburgen") mit Großküchen auf der Wiesn. 1913 präsentierte die Pschorr-Brauerei das Mammutzelt "Bräurosl" mit 12.000 Sitzplätzen.

Das Oktoberfest - Bühne der Mächtigen

Der Münchner Nachkriegs-Oberbürgermeister Thomas Wimmer (1887-1964) dachte sich das "O'zapft is"-Ritual, den Anstich des ersten Bierfasses aus. Einer seiner Nachfolger, Erich Kiesl (1930-2013), überreichte dem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1915-1988) nach dem Anzapfen eine Maß Bier. Der "Landesvater" fühlte sich geehrt, er genoss die Nähe zum Volk und nahm dessen Huldigung entgegen wie einst die Herrscher aus dem Hause Wittelsbach.

Bis heute ist die Wiesn für bayerische Politiker eine wichtige Bühne, um sich den Wählern zu präsentieren. Sie ist zudem ein Großereignis, das politische Gegner an einen Tisch bringt und bei dem man sich mit politischen Botschaften eher zurückhält. Auch Wirtschaftsgrößen zeigen sich gern im Trachtenjanker und nutzen das Oktoberfest zur "Landschaftspflege" oder als Drehscheibe für Geschäfte.

Rund um das Oktoberfest hat sich in München ein komplexes Beziehungsgeflecht gebildet, in dem die Akteure um Einfluss, Geld, Ruhm und Ehre ringen. (Lokal-)Politiker, Brauer und Wirte beäugen sich skeptisch, sind zuweilen neidisch aufeinander, brauchen sich aber gegenseitig und halten zusammen, wenn "Eindringlinge" kommen - wie etwa der Wittelsbacher Prinz Luitpold aus Fürstenfeldbruck, dem der Ausschank seines Kaltenberger Bieres auf der Wiesn konsequent verwehrt wird.

Die dunklen Seiten des Oktoberfestes

Zu Zeiten des Kolonialismus im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war das Oktoberfest ein beliebter Ort für rassistische Völkerschauen, bei denen beispielsweise "Lippen-Negerinnen" vorgeführt wurden. Auch Abnormitätenausstellungen waren ein Besuchermagnet.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten durften Juden auf dem Oktoberfest nicht mehr arbeiten. Die Hetze gegen "Judenbier" nahm zu. Der jüdischer Brauer und Biermanager Joseph Schülein (Unionsbräu, Löwenbräu) geriet ins Visier der Antisemiten, mehrere Mitglieder seiner Familie flohen in die USA. Das Bild der Wiesn prägten Hakenkreuz-Dekorationen, 1938 stand die Veranstaltung als "großdeutsches Volksfest" ganz unter dem Eindruck der Münchner Konferenz (29. September) und dem Anschluss des Sudetenlandes an das Reich.

Am Abend des 26. September 1980 verübte der 21-jährige Neonazi Gundolf Köhler einen Bombenanschlag am Haupteingang der Theresienwiese (Bavariaring). Zwölf Menschen und der Attentäter starben, 215 Personen wurden verletzt. Der Münchner Oberbürgermeister Erich Kiesl entschied sich gegen einen Abbruch des Festes. Zweifel an der Einzeltäterschaft Köhlers, einem Anhänger der rechtsradikalen "Wehrsportgruppe Hoffmann", gibt bis heute.


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