Bayern 2 - radioWissen


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Mit Landkarten in die Moderne

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Klaus Uhrig

Stand: 26.10.2015 | Archiv

Die Vermessung Bayerns: Mit Landkarten in die Moderne

GeschichteRS, Gy

Kaum Königreich geworden eilt Bayern mit Riesenschritten der Moderne entgegen. Doch der klamme Staat braucht Geld. Landesvermessung und Urkataster bringen eine wichtige Einnahmequelle zum Sprudeln: die Grund- und Gebäudesteuer.

Am Anfang ist Napoleon

Als erfolgreicher Feldherr weiß Napoleon Bonaparte, dass schnelle Truppenbewegungen, also die rasche Verschiebung von Mensch und Material, oft kriegsentscheidend sind. Dazu müssen Schlachtenlenker über Straßen, Siedlungen, Wasserläufe, Pässe, Berge und Täler im In- und Ausland Bescheid wissen. Um ihren Truppen Gefechtsvorteile zu sichern, beschafft sich die französische Generalität Karten von ganz Europa. Landesherren, die nicht kooperieren, werden zur Herausgabe ihrer Karten gezwungen.

Im Zweiten Koalitionskrieg (1799-1801) rückt eine französische Armee in Süddeutschland ein, besetzt im Juni 1800 München und schlägt ein österreichisch-bayerisches Heer am 3. Dezember bei Hohenlinden. Das Kartenmaterial, das die Sieger in der Münchner Residenz vorfinden, beruht überwiegend auf den Arbeiten des Mathematikers und Astronomen Philipp Apian aus dem Jahr 1554. Diese "Landtafeln" erscheinen Napoleon und seinen Militärs nur wenig brauchbar, er ordnet eine Neuvermessung Bayerns an.

Rute oder Meter? Bayerisch-französische Landvermessung mit Hindernissen

Noch im Jahr 1800 werden auf Anweisung des Generals Charles Matthieu Decaen bayerische Beamte, Geometer und Zeichner zur Zusammenarbeit mit französischen Offizieren verpflichtet. Die Teambildung verläuft nicht reibungslos, es gibt Eifersüchteleien und Ingenieure wie der "Kartomane" Adrian von Riedl, der bereits ein Konzept zur Vermessung Bayerns entwickelt hat, wollen sich nicht unterordnen. Außerdem beharren die Franzosen auf ihrer "revolutionären" Maßeinheit Meter, die Bayern wollen dagegen an der Rute festhalten, die etwa 2,9 Metern entspricht.

Nachdem Frieden von Lunéville im Februar 1801 verlassen die Besatzer Bayern, doch ein kleiner Trupp französischer Ingenieure unter dem Oberst Charles Rigobert Bonne bleibt in München zurück, um die bayerischen Vermesser weiter zu unterstützen. Man einigt sich darauf, dass die neue Karte Bayern gehören soll, die Franzosen jedoch eine Kopie erhalten. Zur Erstellung einer topografischen Karte gründet Kurfürst Maximilian IV. Joseph am 19. Juni 1801 das Topographische Bureau, aus dem später die bayerische Vermessungsverwaltung hervorgeht.

Gerechte Besteuerung von Grund und Gebäuden - ein Muss für das neue Bayern

An der Seite Frankreichs steigt Bayern zum Königreich auf und kann sein Staatsgebiet beträchtlich erweitern. Als der Stern des Empereurs sinkt, gelingt Bayern 1813 rechtzeitig der Bündniswechsel. Die Erwerbungen der napoleonischen Zeit bleiben nach dem Sturz des Kaisers weitgehend erhalten. Im Jahr 1818 ist Bayern mit 3,71 Millionen Einwohnern unter den Mitgliedern des Deutschen Bundes der drittgrößte Staat nach Österreich und Preußen. Bayerns Gebiet umfasst 71.500 Quadratkilometer, das entspricht etwa der heutigen territorialen Ausdehnung.

Auf dem Weg zum modernen Staat müssen nun 70 ehemals selbständige Territorien mit unterschiedlichsten Rechts-, Verwaltungs- und Finanzsystemen miteinander vereint werden. Dazu braucht die Regierung Geld, doch um die Finanzen Bayerns ist es nach mehreren Kriegsjahren und früheren Phasen der Misswirtschaft schlecht bestellt. Haupteinnahmequelle ist im frühen 19. Jahrhundert die Grund- und Gebäudesteuer, doch in dem jungen Königreich gibt es 114 verschiedene Berechnungsarten. Eine Vermessung Bayerns als Grundlage der Steuererhebung ist schon deshalb unabdingbar.

Ein Dreiecksnetz überzieht Bayern

Vermessen wird nach dem Verfahren der Triangulation. Dabei wird das Land in Dreiecke unterteilt. Markante Punkte, die in Sichtweite stehen, werden festgelegt, etwa Bergspitzen oder Kirchtürme; fehlen diese, müssen bis zu 40 Meter hohe Holztürme gebaut werden. Die Verbindungslinien zwischen den "trigonometrischen Punkten" bilden Dreiecke. Um ein Dreieck zu definieren, muss man die Länge von einer Seite und zwei Winkel kennen. So lassen die Seitenlängen des Dreiecks bestimmen.

Zunächst ist es nötig, eine Basisstrecke zu ermitteln. Von dieser aus werden die Winkel zu den einzumessenden Objekten bestimmt. Dies kann überall in Bayern geschehen, doch es bietet sich an, in Hauptstadtnähe zu starten. Da die Basislinie durch eine ebene Landschaft führen soll, ist das Erdinger Moos als Messgebiet besonders geeignet. So entscheiden sich Oberst Bonne für Endpunkte in Unterföhring und Aufkirchen - hiervon ausgehend soll alles Weitere berechnet werden. Die Länge der direkt gemessenen Basislinie beträgt 21.653,80 Meter. Wie exakt damals gearbeitet wurde, zeigen moderne Satellitenmessungen: Die Abweichung beträgt lediglich 70 Zentimeter, das entspricht einem Fehler von gerade mal drei Zentimetern auf einen Kilometer der Grundlinie.

Über den Endpunkten der Basislinie werden später Steinpyramiden gebaut, die heute noch zu sehen sind. Eine Verlängerung der Basislinie trifft auf die Spitze des nördlichen Turms der Frauenkirche in München, sie wird der Nullpunkt des Koordinatensystems für ganz Bayern. Nach jahrzehntelanger Arbeit ist die Vermessung Bayerns 1868 abgeschlossen.

Landesvermessung und technische Entwicklung

Die feinmechanisch-optische Industrie erlebt durch die Landesvermessung einen enormen Aufschwung. Erfinder, Ingenieure, Optiker und Astronomen wie Georg von Reichenbach oder Joseph von Fraunhofer können sich entfalten und Präzisionsinstrumente entwickeln. Unternehmerpersönlichkeiten wie Joseph von Utzschneider präsentieren sich als Manager und Finanziers der Werkstätten und Glashütten. Vermessungsexperten wie Johann Georg Soldner sind dankbare Abnehmer ihrer Produkte.

Der einheitlichen Besteuerung entgegen …

1808 ruft König Maximilian I. Joseph die Steuervermessungskommissionins Leben und übergibt die Leitung dem Unternehmer und Karrierebeamten Joseph von Utzschneider. Dieser bringt - zum Leidwesen mancher Eigentümer - die Regulierung der Grundsteuer auf Basis der Katastervermessung auf den Weg. Viele Grundbesitzer wollen anfangs nicht wahrhaben, dass auch sie von der Vermessung profitieren. Der Grundstücksverkehr (zum Beispiel Eigentumsübertragung, Grenzanerkennung) wird erleichtert.

Die Katastervermessung läuft parallel zu Erstellung der topografischen Karte Bayerns und bedeutet eine viel kleinteiligere Erfassung des Königreichs. So ermittelt der Staat einzelne Besitzstände und ist in der Lage, die Steuererklärung von Bürgern praktisch vorwegzunehmen. Schließlich kann in Bayern ab 1828 auf der Grundlage einer präzisen Grundstücksvermessung einheitlich besteuert werden.

Bayerns "Uraufnahmeblätter"

Im Anschluss an die Vermessung werden die Ergebnisse auf maßstabgetreue Karten übertragen. Die zeichnerische Darstellung (Kartierung) von mehr als 21 Millionen Grundstücken führen die Mitarbeiter der Steuervermessungskommission grafisch auf dem Messtisch im Gelände durch, normalerweise in den Maßstäben 1:5.000 (Feldlage) und 1:2.500 (Ortslage). So entstehen im Zeitraum 1808 bis 1864 mehr als 24.000 "Uraufnahmeblätter" mit Grundstücksgrenzen, Nutzungsarten, Gebäuden, Wegen und Gewässern. Die letzten Grundsteuerkataster werden 1868, also 60 Jahre nach dem Beginn der Steuervermessung in Oberbayern herausgegeben.

Weil die Kosten für den Flurkartendruck im damals üblichen Kupferstichverfahren zu hoch sind, kommt das von Alois Senefelder entwickelte Steindruckverfahren (Lithografie) zur Anwendung (bis 1960). Graveure übertragen die Zeichnungen, auf denen die Grundstücke und Gebäude mit Grenzlinien zu sehen sind, wie auch Zeichen für Wiesen und Gewässer, spiegelverkehrt auf Solnhofer Steinplatten. Ein besonderer Vorteil des Steindruckverfahrens ist, dass spätere Landschafts- oder Grenzveränderungen durch Abschleifen berücksichtigt werden können.

Mithilfe der Lithografieplatten werden die Karten in der Steindruckerei der Steuervermessungskommission vervielfältigt. Heute lagern 26.637 Steintafeln im Keller des Landesamtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung und geben Zeugnis von der Siedlungs- und Landschaftsentwicklung in Bayern.


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