Vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit
Psychologie | Gy |
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Vieles von dem, was uns als Persönlichkeit ausmacht, liegt in unserer Vergangenheit begründet. Selbstverständnis und Motivation speisen sich aus autobiografischen Erinnerungen. Wer sich ihnen stellt, kann zu sich selbst finden.
Spätestens dann, wenn ein Kind in die Phase des Spracherwerbs eintritt, nimmt die Entwicklung des Gehirns und damit auch des Gedächtnisses Fahrt auf. Der Mensch sammelt Erfahrungen, wird kulturell geprägt, Ereignisse reihen sich zu einer Lebensgeschichte.
Für die alltägliche Kommunikation und den Austausch mit der Umwelt wird das Gedächtnis dringend gebraucht. Vor allem aber für die Identitätsprägung ist eine Vorstellung von der eigenen Vergangenheit unverzichtbar.
Episoden unseres Lebens können wir uns vergegenwärtigen. Doch leider ist das autobiografische Gedächtnis kein Archiv, das die Vergangenheit penibel aufzeichnet. Es filtert Ereignisse, beschönigt, verdrängt oder verzerrt sie - manche Episoden müssen also gar nicht so stattgefunden haben wie sie unsere Erinnerung zeigt.
Bei Reisen in die Vergangenheit stoßen wir auch immer wieder auf Erinnerungsinseln, die eng mit zentralen Themen unseres Lebens, mit Konflikten oder einschneidenden Erlebnissen verbunden sind. Wer diese - selbst definierten - Hotspots ansteuert, kann aufgerüttelt und ermutigt, aber auch gehemmt und belastet werden.
Weil positive wie negative Erinnerungen das Selbstbild beeinflussen, ist eine gezielte Auseinandersetzung mit ihnen - vielleicht mit therapeutischer Hilfe - angebracht. Vor allem Personen, die an Depressionen, Beziehungsproblemen oder Minderwertigkeitskomplexen leiden, sollten sich mit ihren Erinnerungen beschäftigen. Dann lassen sich häufig reflexhaft ablaufende Mechanismen erkennen und ein Durchbrechen selbst angelegter "Schutzhüllen" ist möglich.
Was für den Einzelnen gilt, das kann auch auf politisch-gesellschaftliche Prozesse übertragen werden. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung mit den Folgen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates. Auch hier gilt es, Ereignisse zu erinnern, der Neigung zum Verdrängen und Vergessen nicht nachzugeben und Denk- und Verhaltensweisen zu hinterfragen.