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Mehr als nur ein frommer Wunsch?

Von: Simon Demmelhuber / Sendung: Brigitte Schulz

Stand: 12.11.2014 | Archiv

Der Segen: Mehr als nur ein frommer Wunsch?

ReligionMS, RS, Gy

Angestaubt, als frommer Hokuspokus hoch suspekt? Nichts von alledem! Der Segen hat nicht nur Konjunktur, er hat es auch in sich: Er schenkt Vertrauen in die Welt, Hoffnung aufs Gelingen, und macht, dass das Leben uns trägt.

"Sitzt, sitzt, Bienen! Die Jungfrau Maria befiehlt es euch. Ihr habt keinen Urlaub, fliegt nicht in den Wald!" Ein unbekannter Mönch hat diesen Segen vor mehr als 1.100 Jahren im Kloster Lorsch aufgeschrieben. Über den Bienenstock gesprochen, sollte er die Tiere aus dem Wald zurückrufen und vom Schwärmen abhalten. Wir wissen es nicht, aber vielleicht hat einst ein Priester diese Worte gesprochen, dabei das Kreuzzeichen über die Bienenkörbe geschlagen und Weihwasser versprengt. Ganz so wie heutige Priester noch immer Feuerwehrautos, Motorräder, Gebäude, Hunde, Katzen und Kühe segnen.

Segen und Zauber: der feine Unterschied

Weihwasser, Kreuzzeichen, Gebete, Segenswünsche für tote Dinge und Tiere: Ist das ernst gemeint? Oder nur frommes Brimborium und vielleicht sogar schon fauler Zauber? Was steckt hinter dem christlichen Segen und was unterscheidet ihn von schwarzer Magie? Im Fall des Lorscher Bienensegens verschwimmen die Grenzen tatsächlich. Da wird die Gottesmutter eingespannt, um eine ganz konkrete Arbeit zu verrichten: Sie soll das versprengte Bienenvolk herbeirufen und im Stock festhalten. Dazu muss sie der Natur ins Handwerk pfuschen und den Tieren ihren Willen aufzwingen. Das tut sie jedoch nicht aus eigenem Antrieb. Auch die Jungfrau wird gezwungen, gleichsam gebunden durch die Macht eines Rituals, das sie als Werkzeug einer äußerst weltlichen Absicht in Anspruch nimmt.

Gottvertrauen statt Teufelswerk und Aberglauben

Die Vorstellung, durch zeichenhaftes Handeln, Gebärden und Redeformeln auf die Natur, auf Gegenstände, Lebewesen oder Menschen einzuwirken und sich übernatürliche Kräfte dienstbar zu machen, gehört klar in den Bereich der Magie. Wie aber passt das zum Christentum, wie verträgt sich gläubiges Gottvertrauen mit Bann und Aberglauben? Gar nicht, sagen die Kirchen. Mit Zauberei und Gaukelspiel, mit Abrakadabra und Hokuspokus hat der christliche Segen nichts zu tun. Im christlichen, zumal im römisch-katholischen Verständnis, ist Segen keine Beschwörung übernatürlicher Mächte, sondern die lebendige Gegenwart Gottes in der Welt und das offenbare Fortwirken seiner unverbrüchlichen Liebe. Gott selbst und Gott alleine ist sowohl Wesen und Ursprung als auch Ziel allen Segens und aller Hoffnung auf Heil. Wenn sich Christen gegenseitig segnen, geben sie dieser gemeinsamen Heilszuversicht einen sinnlich-zeichenhaften Ausdruck. Sie stellen sich unter den Schutz der Liebe Gottes und sprechen sich seine Nähe als eigentlichen Segensinhalt zu. Wirksam ist also nicht das Ritual des Segnens aus sich heraus, sondern das gläubige Vertrauen auf Gott und seinen Beistand.

Ihr sollt ein Segen sein der ganzen Welt!

Aus dem Bewusstsein, dass die Schöpfung als eigentliches Segenswerk Gottes dem Menschen anvertraut ist, erwächst zugleich die Verpflichtung, diesen Segen weiterzugeben und wirksam zu machen. Der Segensauftrag ist umfassend: Er schließt sowohl die Verantwortung für einander als auch die Verantwortung für die Schöpfung insgesamt ein. Einen Menschen, Auto, ein Haus, eine Brücke, ein Werkzeug oder ein Tier zu segnen bedeutet, bewusst mit allen Kräften dafür zu sorgen, dass der Segen Gottes an ihnen und durch sie offenbar wird. Und genau in dieser zeichenhaft bekräftigten Verpflichtung geht der christliche Segen weit über bloßes Wunschdenken oder magische Praktiken hinaus.

Der tiefe Hunger nach Schutz und Heil

Das Bedürfnis nach Segen und Segnung, nach Heil und Heilung in einer oft als bedrohlich, unpersönlich, undurchsichtig, dunkel und lieblos empfunden Welt ist ein menschliches Grundanliegen und keinesfalls auf das Christentum beschränkt. Segenshandlungen und Segenszeichen, die die umhüllende, bergende Nähe einer wohlwollenden Gottheit verheißen, sind allen Religionen vertraut. Wir finden sie im Buddhismus, im Hinduismus, im Islam, im Judentum und vielen anderen Glaubenssystemen. Wir finden sie sogar da, wo sich Menschen selbst als konfessionslos oder auch als entschieden ungläubig bezeichnen. Die gemeinsame Hoffnung hinter allen Segenswünschen und Segensformen ist dabei immer dieselbe: Dass wir hilflos ausgeliefert sind an ein blindes Geschick, das wir mit unseren Nöten und Ängsten nicht alleine bleiben, weil eine gütige Macht uns persönlich beschirmt, begleitet und stärkt für das Wagnis des Lebens.


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