Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Abgefahren - Studenten als Straßenbahnfahrer

Verlässliche Fahrpläne im innerstädtischen Verkehr, keine Ausfälle mangels Personal, funktionierende Straßenbahnen? Das wäre großes Kino! Damit sich die Alltagsrealität dieser Fiktion wieder annähert, stellen viele Verkehrsbetriebe jetzt Studierende ein - als Trambahnfahrer im Nebenjob zum Master of Disaster. Eine Glosse von Heinz Gorr.

Von: Heinz Gorr

Stand: 13.08.2024

Natürlich wäre es ein genialer Coup gewesen, Tom Cruise für die Recruiting-Offensive deutscher Verkehrsbetriebe zu gewinnen: Wenn auch in einer etwas anderen Uniform als der legendäre Top Gun-Pilot - Cruise als zuversichtlich winkender Straßenbahnfahrer, das hätte ganz sicher eingeschlagen und Tausende junger Deutscher überzeugt, diesen Beruf zu ergreifen. Wie wir seit Sonntag Nacht aber wissen, war der Hollywood-Star schon anderweitig verpflichtet…

Sollte sich der Fachkräftemangel auf städtischen Schienen zwischen Magdeburg und München deshalb zu einer Art Mission Impossible entwickeln? "Wegen Personalengpässen kommt es zu Änderungen im Fahrplanablauf", mussten Fahrgäste immer öfter lesen, sofern die Anzeige noch intakt war. Übersetzt heißt das: es kommt gar nichts, keine Tram und auch kein Bus, den man sich als Plan B kurzfristig überlegt hatte. Ganze Linien wurde auf Eis gelegt, selbst im Sommer.

Doch nun soll der Frust aller, die sich für nachhaltige Verkehrsmittel entscheiden, ein Ende haben: seit Jahresbeginn rekrutieren immer mehr Betriebe Studierende für den Sessel im Führerhaus der Straßenbahnwagen - als Nebenjob mit Tarifgehalt. Gesundheitliche Eignung, Führerschein sowie "hohes Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein" vorausgesetzt. Im Osten war das bereits seit DDR-Zeiten gängige Praxis, klar: wer studieren durfte, war schon mal als "zuverlässig" einzustufen und hat besser keine Frühschicht verpennt.

Nun, da die Jobangebote immer mehr Interesse wecken, müssten eigentlich traumhafte Zeiten anbrechen, Win-Win-Situationen, wo man hinschaut. Nicht nur, dass Studierende ein bezahltes (!) Resilienzpraktikum absolvieren können, das sie fürs spätere Berufsleben wappnet - durch ständigen Kontakt mit ahnungslos Umherirrenden und Fragen nach einem ganz bestimmten Hotel oder wo denn die Haltestelle mit der feinen Konditorei daneben sei - auch die endlich wieder störungsfrei Beförderten profitieren von der Expertise diverser Fakultäten.

Eine Frage der Ehre für Die Firma, der man sich anvertraut

Wenn beispielsweise eine Studentin der Psychologie vermittelnd in einen Ehestreit eingreift, welche Linie das Paar am schnellsten zur Wohnung der Erbtante bringt, wenn Juristen fachkundig darüber aufklären können, dass eine Klage wegen entgangener Anschlüsse am Hauptbahnhof aussichtslos ist, Mediziner höherer Semester Kollabierte in nicht klimatisierten Bahnen behandeln und Maschinenbauer mit Industriepraktikum im Nu dysfunktionale Schiebetüren reparieren, wären das doch paradiesische Zustände! Und der Bericht über eine reibungslose Fahrt von A nach B wäre kein Minority Report mehr, sondern Eine Frage der Ehre für Die Firma, der man sich anvertraut.

Mein persönlicher, zu oft gesehener Trambahn-Film, hat übrigens Leonardo DiCaprio als Hauptdarsteller und endet mit zwei sich entfernenden roten Lichtern: Catch me if you can


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