Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Aquarium Fisch

Dabei sein ist alles – oder auch nicht, zum Beispiel im Stau oder in der vollen U-Bahn. Und auch ansonsten lohnt es sich, manchmal anderen den Vortritt zu lassen. Martin Zöller über aktuelle Tipps und Tricks, wie man sich um lästige Aufgaben herumschlawinert.

Von: Martin Zöller

Stand: 06.09.2024

Bei Turnieren wie Olympia, Europa- und Weltmeisterschaften geht es darum, möglichst lang dabei sein. Mindestens genauso häufig geht es aber im Leben ums nicht-dabei sein und nicht-machen-müssen.  

Der Königsweg etwas nicht machen zu müssen, ist natürlich, es andere machen zu lassen. Berühmtestes Beispiel hierfür ist Tom Sawyer, der im gleichnamigen Buch einen enormen Zaun streichen muss und dem es gelingt, anderen Kindern diese Arbeit so schmackhaft zu machen, dass sie die Arbeit übernehmen. Ich habe schon häufig versucht, Tom Sawyer in meinen Alltag zu kopieren. Aber so begeistert und pfeifend ich auch meinen Familienmitgliedern zurufe „es ist toll, die Spülmaschine einzuräumen“, so wenig hat es bisher geklappt, dass sich jemand mit den Worten „Hey, ich will auch mal!“ vordrängelt und mir die Teller aus der Hand nimmt. 

Klappt es weder mit Verhandlungsgeschick noch mit Autorität, bleibt immer das Glück, um einer Arbeit auszuweichen. Meine Frau und ich entscheiden so etwas häufig per Schnick, Schnack, Schnuck, also Schere, Stein, Papier. Jedes Jahrhundertspiel im Weltfußball ist gähnend langweilig verglichen mit der Spannung, die herrscht, wenn müde Eltern auskarteln, wer die Kinder ins Bett bringt. Problem: Schnick-Schnack-Schnuck zu mehreren Personen geht nicht. Aber hier hilft der Schulhof. Kinder sind Experten darin, zu bestimmen, wer Fänger ist oder wer als erstes Suchen muss beim Versteckenspielen, von „Ene-Mene-Mu“ bis „Tippkasten“.  

Die Möglichkeiten, Abzählreime und „Aquarium-Fisch“ in der Erwachsenenwelt einzusetzen, sind grenzenlos

Weitere Möglichkeit: „Häuschen“. Wenn mein Sohn irgendetwas nicht machen will, formt er die Handflächen überm Kopf zu einem Dach und ruft „Häuschen“. Das bedeutet so etwas wie „Ich bin im geschützten Raum und niemand hat Zugriff auf meine Arbeitskraft an der Spülmaschine“. Oder, was ich besonders lustig finde:  Er ruft „Aquarium“ und formt die Arme vor der Brust zu einem Rahmen, die anderen müssen schnellstmöglich mit dem Ruf „Fisch!“ ihren Zeigefinger ins „Aquarium“ stecken: Wer der letzte ist, der als Fisch ins Aquarium will, ist dran. 

Die Möglichkeiten, Abzählreime und „Aquarium-Fisch“ in der Erwachsenenwelt einzusetzen, sind grenzenlos. Entscheidungen in Gemeinderatssitzungen, wer das lästige Protokoll schreiben muss – schnell geklärt: „Aquarium!“ rufen, der letzte, der angerannt kommt, muss es machen. Oder: Alle schauen suchend in den Himmel, wenn die Frage ist, wer den Papierstau im Bayern 2- Kopierer beendet? Mit „Aquarium – Fisch!“ schnell gelöst. 

Übrigens: Gentleman sein und trotz des Sieges bei Schere-Stein-Papier der Fahrer nach der Party zu sein, kann man ja immer noch. Und manche Ausreden sind einfach entwaffnend: Legendäres Argument einer Freundin, die als Vierjährige Äpfel im Garten einsammeln sollte: „Mama, ich kann Dir nicht helfen, weil dann knittert mein Kleid!“


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