Ende der Welt - Die tägliche Glosse Champagner-Wiesn
Auf dem Oktoberfest ist alles größer, auch die Preise! Champagne-Duschen für 3.300 Euro? In München blühen nicht nur die Blumen, sondern auch die Extravaganz. Eine Glosse von Peter Jungblut.
Seien wir ehrlich, in München ist das ganze Leben schaumig. Hier wirft alles Blasen: Der Immobilienmarkt, der FC Bayern, das Weißbier, der Latte Macchiato und die Schickeria sowieso. Insofern wundert es nicht, dass neuerdings auch die Wiesn stärker perlt als je zuvor. Angeblich sind dort in diesem Jahr Champagner-Duschen angesagt, und zwar aus Neun-Liter-Flaschen zum Preis von 3.300 Euro. Da fühlte sich der eine oder andere empfindlich an seinem Moussierpunkt getroffen und regte sich über angebliche Dekadenz auf, nur weil ein paar Zuschauer beim Entkorken einen Kellner angefeuert und ihre Regenschirme aufgespannt haben sollen.
Gut, bisher war das Oktoberfest nicht für Flaschengärung bekannt, es ist ja nicht mal voll unterkellert, aber es ist doch die eigentliche Hefe der Münchner Lebensart. Dort geht alles auf, nicht nur die Geldbeutel. Kopfschmerzen verdoppeln ihr Volumen, Italiener vervielfachen ihre Reservierungen und Promis ihre Trachtenfotos. Alles schäumt, prickelt und sprudelt vor sich hin, wie es die Gäste von München erwarten. Hier wird halt von jeher viel Luft ins Vergnügen geschlagen und als „Gemütlichkeit“ verkauft. Sonst würde sie älteren Besuchern schwerfallen und Familien bei der Kreditaufnahme behindern.
Eigentlich verwunderlich, warum zum Wiesn-Anstich kein Sektflöten-Quintett gespielt wurde, begleitet von Oberbürgermeister Dieter Reiter am Kohlensäure-Siphon und Ministerpräsident Markus Söder am Schaumschlagwerk. Wer unbedingt Mitsingen will, kann es ja mit „Wenn die Korken knallen und die Blätter fallen“ versuchen, am besten erst mal morgens unter der Champagner-Dusche in der Zweitwohnung, sonst riecht die Villa am Starnberger See wieder die ganze Woche nach Neid. Und der Sommelier muss seine Nase tagelang an Kaffeebohnen neutralisieren.
Der eine oder andere hat Schaum vor dem Mund, wenn er die Wiesn-Berichte liest
Dekadent war München übrigens noch nie, jedenfalls nicht seit Rudolph Mooshammers Yorkshire-Terrier Daisy ihren adeligen Geburtsnamen Irina de Pittacus ablegte, und das ist 30 Jahre her. Seitdem gibt München nicht mehr vor, mehr zu sein als es ist, sondern nur noch mehr zu zahlen als es kann. Ist zwar auch luxuriös, aber halt nicht mehr so elitär wie früher, denn die Kontosperrstunde gilt bekanntlich für alle.
Klar, der eine oder andere hat Schaum vor dem Mund, wenn er die Wiesn-Berichte liest, deren Cuvée sich in den letzten Jahren sehr verändert hat. Früher erinnerte das Oktoberfest rein sensorisch ja an Zuckerwatte und Steckerlfisch mit einem Hauch von Ochsenbraterei und gebrannten Mandeln. Heutzutage dominieren fruchtige Gourmet-Aromen, mit exotischer Ananas und Mango, die durch Birne und kühle Noten von Zitronengras und Eisenkraut veredelt werden, so jedenfalls die Expertise einer aktuellen Champagner-Verkostung. Wenn es so weitergeht, werden die Promis auf der Wiesn vermutlich nicht mehr schunkeln, sondern Trauben treten, in Designer-Schuhen natürlich. Ist aber nur lustig mit Kastagnetten aus Austern.